Wer die Debatte nicht versteht, verliert an demokratischer Glaubwürdigkeit

Was das Familienministerium gestern dem E-Sport negativ zuschrieb, hat der ehrenamtliche E-Sport längst für sich gelöst, argumentieren die E-Sport-Experten Prof. Dr. Jens Junge und Dr. Timo Schöber in ihrem Gastkommentar. Dennoch müsse der E-Sport im Angesicht von autokratischen Geldgebern und Korruption im etablierten Vereinssport selbstkritisch bleiben.
Seit Jahren ist klar, dass dem in Vereinen tätigen gemeinnützigen E-Sport die staatliche Anerkennung fehlt. Viele Politiker haben immer wieder fest versprochen, da gesetzlich nachzubessern. Aktuell schien sich das Familienministerium dagegen zu positionieren, bevor man heute wieder kehrt machte, was nicht nur Unverständnis, sondern gar Ignoranz in diesem Ministerium dokumentiert. Will man vielleicht dann auch gleich, weil die gierige FIFA korrupt ist, dem Sport allgemein die Gemeinnützigkeit entziehen? Aber der Reihe nach.
Die Aspekte des Online-Glücksspiels und des Pay2Win-Prinizips können gar nicht gegen die Einordnung des E-Sports als gemeinnützig sprechen, da diese Aspekte ausschließen, dass etwas E-Sport ist. Definitorisch ist E-Sport das wettbewerbsorientierte Gaming. Folgerichtig dürfen Glück und Geld keinen Ausschlag über Sieg und Niederlage geben. Es sind Games vom E-Sport klar zu unterscheiden.
Um Gewaltdarstellung geht es im E-Sport generell nicht. Spiele, zumeist Egoshooter, in denen Gewalt dargestellt wird, zählen zum E-Sport, weil sie strategisch und taktisch hochkomplex sind und darüber hinaus Teamplay und -dynamiken abbilden.
Auf kommunaler und regionaler Ebene sind durch den E-Sport darüber hinaus insbesondere in Schleswig-Holstein umfassende Strukturen geschaffen worden. Dies auch auf Basis der Förderung durch Politik und Staat, auf dem Fundament der ehrenamtlichen Arbeit von Engagierten. Zu meinen, dass E-Sport keine Aspekte der Gemeinnützigkeit aufweisen würde, ist daher nicht nur realitätsfern, sondern wirkt vielmehr auch ideologisch motiviert und politisch kalkuliert.
Ehrenamt: Das gilt auch für zig Vereine deutschlandweit sowie die Landesverbände in Bayern, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, die allesamt wertvolle gemeinnützige Arbeit leisten.
Ferner muss man sich fragen, da das Argument der „Gewaltdarstellung“ das einzig valide sein mag, wenn man definitorisch sauber arbeitet, warum vielerlei Zwecke, die explizit Gewalt – nicht nur, wie beim E-Sport, deren Darstellung – beinhalten, als gemeinnützig gelten. Auf den Sport gemünzt müssten daher Disziplinen wie Biathlon, Boxen, Kickboxen, Sportschießen und Bogenschießen vielerlei Fragen aufwerfen. Allesamt im Übrigen im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) organisiert.
Über anderweitige gesellschaftliche Phänomene, die trotz Gewalt Gemeinnützigkeit erlangt haben, müssten man zusätzlich sprechen, etwa die Jagd.
In einer Zeit, in der Faschisten wie jene der AfD immer mehr an Macht gewinnen, muss sich die Politik fragen, wie sie Demokratie glaubwürdig gestalten möchte. Wenn Wahlentscheidungen aufgrund von Parteiprogrammen gefällt werden und in Koalitionsverträge fließen, diese aber immer wieder nicht eingehalten werden, muss sich Politik nicht wundern, wenn die Glaubwürdigkeit der Demokratie erschüttert wird – auch von innen. Die vom Familienministerium initiierten Machtspiele haben vor allem auch zur Folge, dass junge Menschen sich hinsichtlich ihrer Wahlentscheidungen und demokratischer Prozesse insgesamt in immer mehr Unsicherheiten bewegen.
Da kommt einem das Zitat des französischen Schriftstellers Jean de La Bruyère in den Sinn: "Die Treulosigkeit ist sozusagen eine Lüge der ganzen Person."
Der E-Sport muss sich bei Argumenten, die gegen ihn ins Feld geführt werden könnten, auch selbstkritisch zeigen – dabei greifen aber andere Aspekte als jene, die vom wenig selbstkritischen Familienministerium angeführt werden.
Ehrenamt und Profisport sind im E-Sport genauso zu trennen, wie bei den klassischen Spielen des Sports. Sobald die Kommerzialisierung eindeutig einsetzt, muss die Anwendung der Gemeinnützigkeit ad acta gelegt werden.
Genauso muss Ehrenamt immer Ehrenamt bleiben. Auf Bundesverbandsseite haben jene, die immer und stets betonen, sie würden ehrenamtlich arbeiten, in den vergangenen Jahren Fragen aufkommen lassen, die ihre Motivation stark in Zweifel ziehen. Das nährt Kritiker, die die Gemeinnützigkeit des E-Sports insgesamt hinterfragen.
Auch die internationale Galionsfigur des E-Sports, die selbst zwar nicht gemeinnützig agiert und auch nicht den Anspruch erhebt, aber als professionelles Aushängeschild für den gesamten E-Sport fungiert, muss sich ethisch fundierte Fragen gefallen lassen. Etwa, weshalb massiv staatliche, saudi-arabische Gelder fast unkritisch im Markt aufgenommen werden. Diktatorische Gelder, Blutgeld.
Dass man im Ministerium kurz nach den gemachten Einordnungen und Statements von zahlreichen Seiten wieder zurückrudert, verstärkt den Eindruck der Beliebigkeit. Das erhöht Unsicherheiten und schafft neue Unklarheiten. Der Politik muss klar sein, dass demokratisch erzeugte Erwartungshaltungen mit einem hohen Maß an Verbindlichkeit verknüpft sein sollten.
Nun ist E-Sport für die Politik also doch Sport. Endlich. Definitorisch ist das in der Wissenschaft schon lange bekannt. Anstatt sich also in ideologischen Debatten zu verlieren, wäre es klüger zu hinterfragen, wie zeitgemäß noch Instrumente wie die Autonomie des Sports sind, wenn sie missbräuchlich von Verbänden wie dem DOSB genutzt werden. Das wäre die drängendere Frage. Die Frage nach dem „Ob“ des E-Sports als Sport ist längst beantwortet.
Dr. Timo Schöber ist Gründer der Denkfabrik Esportionary. Prof. Dr. Jens Junge leitet das Institut für Ludologie an der SRH Berlin University of Applied Sciences. Beide hatten sich in der Vergangenheit bereits gemeinsam für den gemeinnützigen E-Sport und gegen den Einfluss autokratischer Regimes in selbigem positioniert.