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Medienrecht: Zeitenwende - die Entmachtung der Länder

Die EU ist in vielerlei Hinsicht ein juristischer Flickenteppich. Das gilt auch beim Jugend­medienschutz. Doch damit könnte bald Schluss sein, nachdem sich die EU die Zuständigkeit nach Brüssel holt, wie Dr. Christian-Henner Hentsch in seinem Autorenbeitrag erläutert.

Dr. Christian-Henner Hentsch ist Leiter Recht & Regulierung beim game - Verband der deutschen Games-Branche. Daneben ist er Professor für Urheber- und Medienrecht an der TH Köln.
Dr. Christian-Henner Hentsch ist Leiter Recht & Regulierung beim game - Verband der deutschen Games-Branche. Daneben ist er Professor für Urheber- und Medienrecht an der TH Köln. game

Es sieht nach einer Zeitenwende im Medienrecht aus: Am 4. Oktober 2022 hat die Europä­ische Union den Digital Services Act (DSA) beschlossen und damit zahlreiche Änderungen für die Gamesbranche. Ab Inkrafttreten dieser vollharmonisierenden Verordnung voraussichtlich im Februar 2024 liegt die Kompetenz für die Regulierung von digitalen Diensten (bisher "Telemedien") ausschließlich bei der EU. Entgegenstehende oder sogar rein wiederholende nationale Gesetze von Bund und Ländern sind dann nicht mehr anzuwenden. Die Folge: Das Telemediengesetz und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) werden aufgehoben und auch der Medienstaatsvertrag (MStV) und der Jugendmedienstaatsvertrag (JMStV) könnten zu weiten Teilen zur Maku­latur werden - zumindest für die Gamesbranche.

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Der DSA ist zusammen mit dem Digital Markets Act (DMA) Kernstück der EU-Strategie zur Vollendung des digitalen Binnenmarktes, also die Vereinheitlichung der Haftungs- und Wohlverhaltenspflichten im Internet. Die umfassenden Regelungen zielen auf Plattformen und digitale Dienstleistungen und Produkte wie auch Games und gehen teils weit über die bishe­rigen Regeln in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (eCommerce-RL) hinaus. Künftig gibt es unter anderem grenzüberschreitende Anordnungen zum Vorgehen gegen rechtswidrige Inhalte im Netz, Vorgaben zu Kontaktstellen und gesetzlichen Vertretern sowie neuen Schadensersatzpflichten bei Rechtsverstößen von Plattformen. Außerdem umfassen die neuen Regelungen auch ein Verbot von sogenannten Dark Pattern und von Kategorisierungen bei zielgerichteter Werbung. Hinzu kommt, dass für Minderjährige besondere Jugendschutzmaßnahmen er­griffen werden müssen. Online-Plattformen wie auch Games, bei denen Nutzerinnen und Nutzer Content teilen können (beispielsweise ein Chat), müssen außerdem ein Beschwerde­managementsystem, einen Streitbeilegungsmechanismus und besondere Maßnahmen für vertrauenswürdige Hinweisgeber (trusted flaggers) vorhalten und spezifische Transparenzberichtspflichten und besondere Vorgaben zur Werbung erfüllen. Besonders große Plattformen (very large online platforms - VLOPs) mit mehr als monatlich mindestens 45 Millionen ak­tiven Nutzerinnen und Nutzern in der EU treffen zusätzliche Pflichten. Beim DSA handelt es sich also um ein umfassendes Regelwerk, das europaweit einheitliche Standards für den Vertrieb von Games im Internet schafft.

In Deutschland werden die Medien bislang vor allem von den Bundes­ländern und deren Landesmedienanstalten reguliert. Zwar ist der Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Grundgesetzes für die Medienregulierung zuständig. Weil er davon aber in Absprache mit den Ländern keinen Gebrauch macht, sind der Medienstaatsvertrag und der Jugendmedienschutzstaatsvertrag bisher maßgeblich. Der Medienstaatsvertrag definiert auch, was Rundfunk und was Telemedien sind und welche Bestimmungen auf Games als Telemedium anwendbar sind. Zudem werden dadurch die EU-Mindestvorgaben aus der eCommerce-RL und der Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie (AVMD-RL) umgesetzt und darüber hinaus auch weitergehende nationale Standards gesetzt ("Goldplating"). Dazu zählt beispielsweise das Verbot von direkten Kaufappellen ("Hol Dir jetzt Dein Mount im Shop!") in § 6 JMStV.

Indem nun die EU mit dem DSA vollharmonisierende Regeln geschaffen hat, dürfen die Mitgliedstaaten in diesem sogenannten "koordinierten Bereich" keine darüber hinausgehenden Vorgaben mehr machen. Weil Games "digitale Dienste" sind, für die dann ausschließlich die EU zuständig ist, dürften also mit Inkrafttreten des DSA Anfang 2024 der MStV und der JMStV nicht mehr für Games gelten. Weil Games auch keine audiovisuellen Medien im Sinne der AVMD-RL sind, gibt es wohl auch keinen Umsetzungsspielraum im Wege dieser Richtlinie, die weiterhin für Fernsehen, fernsehähnliche Medien (Let's Plays und Influencer-Videos) sowie Video-Sharing-Plattformen (Twitch und YouTube) greift. Die Bundesländer müssen hier also beide Staatsverträge erheblich anpassen, vermutlich auch die bisherige Kategorisierung von Rundfunk und Telemedien aufgeben und voraussichtlich die Kompetenzen für Games abgeben und entsprechende Normen schlicht streichen. Das JuSchG bleibt dagegen - abgesehen von begrifflichen Anpassungen - wohl weitgehend in Kraft, weil dies gerade nicht auf Medien im Internet abzielt, sondern auf Trägermedien, die nicht in den Anwendungsbereich des DSA fallen.

Vor allem für den Jugendmedienschutz hat diese Kompetenzverlagerung von den Ländern hin zur EU voraussichtlich erhebliche Auswirkungen. Zwar sieht der DSA explizit den Online-Schutz Minderjähriger vor (Art. 28), wonach Anbieter von Plattformen (also Games mit Chat-Funktion oder anderen Möglichkeiten zum Content-Sharing) geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen ergreifen müssen, um für ein hohes Maß an Privatsphäre, Sicherheit und Schutz innerhalb des Dienstes zu sorgen. Auch darf keine Werbung auf der Grundlage von Profiling stattfinden. Über diesen Rahmen dürfen Bund und Länder nun aber nicht mehr hinaus­gehen. Die Alterskennzeichnung und auch die neuen Vorgaben zu den Deskriptoren können sicherlich als Maßnahmen zum Schutz von Minderjäh­rigen gesehen werden. Inwieweit aber beispielsweise das Verbot von Kaufappellen Bestand haben wird, ist höchst fraglich. Zudem sind diese Maßnahmen auch nur für Plattformen vorgesehen und würden nach der Logik der Verordnung nicht für Games ohne Chat-Funktion oder andere Möglichkeiten zum Teilen von Inhalten gelten.

Für die Zukunft bedeutet dies, dass nicht nur die Medienregulierung, sondern auch der Jugendmedienschutz maßgeblich von der EU bestimmt wird. Zumindest für Games wird der Spielraum für die Bundesländer damit immer geringer werden. Künftig kann die EU-Kommission sogar Leitlinien herausgeben, um die Anbieter von Online-Plattformen beim Jugendschutz zu unterstützen. Grundsätzlich sollte dies aus Sicht der Gamesbranche eine begrüßenswerte Entwicklung sein, wenn dadurch EU-weit einheit­lichere Standards entstehen und na­tionale Alleingänge im Jugend- und Verbraucherschutz unterbunden werden. Insbesondere für den europa­weiten Vertrieb von Games bedeutet dies nicht nur mehr Rechtssicherheit, sondern vor allem auch weniger Implementierungskosten.

Weil der DSA so große Auswirkungen auf die Gamesbranche hat, hat der game bereits früh über die kommenden Regelungen informiert. Schon im Juni 2022 wurde zusammen mit Andreas Lober und Cathleen Laitenberger in einem Workshop die neuen Vorgaben des DSA vorgestellt und diskutiert. Nach der Veröffent­lichung des offiziellen Verordnungstextes im Amtsblatt der EU wird es am 15. November einen weiteren Verbands-Workshop geben, bei dem wir nach einem Ausblick auf die Umsetzung und das kommende Digitale-Dienste-Gesetz vom zuständigen Referatsleiter aus dem Digitalministerium zusammen mit Prof. Dr. Marc Liesching von der HWTK Leipzig die Auswirkungen des DSA auf die Me­dien- und Jugendschutzregulierung für die Gamesbranche diskutieren und anschließend von Andreas Lober und Konstantin Ewald die neuen Haftungsregeln und Sorgfaltspflichten vor­gestellt bekommen.

Der Trend zur Kompetenzverlagerung im Medien- und Jugendschutzrecht von der nationalen auf die EU-Ebene wird sich jedenfalls fortsetzen. Die EU hat bereits einen nächsten Gesetzgebungsentwurf zum Jugendschutz vorgestellt - den Verordnungsentwurf zur "Festlegung von Vorschriften zur Verhütung und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern" (Child Sexual Abuse Measures - CSAM). Darin wird neben neuen Risikobewertungs- und Risikominderungspflichten und Verpflichtungen für App-Stores vor allem die Gründung eines EU-Zentrums vor­geschlagen, das dazu beitragen soll, beim Kinder- und Jugendschutz "Hindernisse für den Binnenmarkt zu beseitigen".

Dr. Christian-Henner Hentsch

Dr. Christian-Henner Hentsch ist Leiter Recht & Regulierung beim game - Verband der deutschen Games-Branche. Daneben ist er Professor für Urheber- und Medienrecht an der TH Köln.

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