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Rechtliche Analyse

Lootbox-Regulierung in Deutschland: Kein neuerlicher Handlungsbedarf

Kaum eine Debatte der vergangenen Jahre im Gamesbereich war und ist so hitzig wie das Thema Lootboxen. Dabei gibt es bereits einen klaren Rechtsrahmen, den Dr. Christian-Henner Hentsch im Beitrag erläutert.

Christian Henner Hentsch

Lootboxen haben sich in den vergangenen Jahren zu einem regulatorischen Dauerbrenner entwickelt. Teilweise wird der Eindruck vermittelt, dass hier ein dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Dabei gibt es inzwischen einen sehr klaren Rechtsrahmen für Lootboxen durch das Glücksspielrecht, das Verbraucherschutzrecht und auch durch das Jugendschutzrecht. Weil diese umfassenden Regelungen komplex sind, soll hier der gesetzliche Stand der Lootbox-Regulierung erläutert werden. Der Beitrag geht zurück auf einen ausführlichen Workshop des game-Verbandes, in dem Rechtsexpertinnen und -experten sowie Branchenvertretende sehr anschaulich aufgezeigt haben, welche Lootboxen erlaubt und welche verboten sind. Im Workshop wurde deutlich, dass mit Blick auf den gesetzlichen Rahmen in Deutschland Lootboxen schon heute umfassend reguliert sind — sowohl auf europäischer wie auf deutscher bzw- Länderebene. In diesem Sinne haben sie nichts mit Glücksspiel gemein und ihr Einsatz in Spielen wird zumindest von Teilen der Community gewünscht. Gleichzeitig gibt es klare verbraucherschutzrechtliche oder auch jugendschutzrechtliche Grenzen, die beachtet werden müssen.

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Lootboxen sind Spielmechaniken, mit denen Spielerinnen und Spieler zufällige, virtuelle Gegenstände erhalten. Der Zufall ist dabei das prägende Element, da die Spielenden zwar wissen, dass sie etwas bekommen, aber eben nicht was. Teilweise werden die möglichen Items und die Gewinnwahrscheinlichkeit vorher angezeigt. Lootboxen können im Spiel freigespielt, gefunden oder gekauft werden. Es gibt also zahlreiche Möglichkeiten, wie Lootboxen gestaltet und eingesetzt werden. Mit Blick auf die Gesamtumsätze durch In-Game-Käufe stellen Lootboxen allerdings nur einen Bruchteil dar und auch die rechts­politische Debatte um Lootbox-Regulierung betrifft damit lediglich wenige — und immer weniger — Games. Im Wesentlichen werden Lootboxen durch drei Rechtsbereiche reguliert: durch das Glücksspielrecht, das Verbraucherschutzrecht und das Jugendschutzrecht.

Glücksspielrecht

Nach dem Glücksspielrecht ist Glücksspiel in Deutschland verboten und nur unter strengen Voraussetzungen des Glücksspielstaatsvertrags der Länder werden staatlich geprüfte Angebote lizenziert und somit erlaubt. Wie Tobias Schelinski und Jan Feuerhake von der Kanzlei Taylor Wessing im game-Workshop erläuterten, handelt es sich um ein lizenzpflichtiges Glücksspiel, wenn folgende drei Eigenschaften vorliegen: eine zufällige Entscheidung, ein Einsatz und ein Gewinn. Bei der zufälligen Entscheidung ist umstritten, ob dieses Merkmal schon bei einzelnen zufälligen Features vorliegt oder eine Gesamtschau angestellt werden muss. Eine „Röntgenfunktion“ würde das Merkmal der Zufälligkeit in der Regel entfallen lassen, eine „Drop Disclosure“ eher nicht. Ein Einsatz muss eine Erheblichkeitsschwelle überschreiten, die „spürbar“ ist. Nach der Rechtsprechung liegt diese Spürbarkeit zwischen 50 Cent und 10 Euro. Dabei kommt es bei mehreren Spielen im engen zeitlichen Zusammenhang wohl auf den kumulativen Einsatz an. Der Einsatz muss nicht in Geld erbracht werden, es muss aber ein Verlustrisiko bestehen. Glücksspiel ist auch deswegen so stark reguliert, weil der Einsatz reversibel ist, also wieder in Geld umgewandelt werden kann und damit wieder einsetzbar ist. Dadurch kann bei Glücksspielenden eine Sogwirkung entstehen, immer weiter spielen zu wollen. Bei virtuellen Gegenständen in Games ist dies nicht der Fall. In den AGB der Spiele-Anbieter wird der Weiterverkauf von In-Game-Items kategorisch ausgeschlossen; gegen entsprechende Handelsplattformen wird aktiv vorgegangen. Dadurch können die Inhalte nicht legal monetarisiert und wieder eingesetzt werden. Insofern kann sich die Suchtgefahr, die unkontrollierte Impulskontrolle, bis zum Totalverlust immer wieder einzusetzen, bei Games im Gegensatz zu Glücksspiel eben nicht verwirklichen. Insgesamt setzt das Glücksspielrecht Lootboxen doch klare Grenzen und zwingt Anbieter beispielsweise dazu, durch wirksame Maßnahmen gegen den Weiterverkauf von Lootbox-Inhalten vorzugehen, damit sich die glücksspieltypische Suchtgefahr eben nicht verwirklichen kann.

Verbraucherschutzrecht

Auch verbraucherschutzrechtlich gibt es inzwischen sehr detaillierte Vorgaben für Lootboxen, die sogar europaweit einheitlich gelten. Die sogenannten lauterkeitsrechtlichen Regelungen finden sich in der Richtlinie über unfaire Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) und werden in Deutschland durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) umgesetzt. Danach sind unlautere Geschäftspraktiken und insbesondere „aggressive Geschäftspraktiken“ verboten. Was unlautere Geschäftspraktiken sind, wurde von der EU-Kommission im Dezember 2021 in den neu gefassten Leitlinien zur Auslegung der UGP-Richtlinie veröffentlicht. Diese „Guidance“ umfasst auch sogenannte „Beutekisten“ in einem eigenen Absatz. Danach werden Spielinhalte mit „Glücksspielelementen“ zwar als bedenklich eingeordnet, sind aber grundsätzlich erlaubt. Es werden auch konkrete Beispiele genannt. Danach kann beispielsweise der Einsatz von Algorithmen verboten sein, die Einfluss auf den Zeitpunkt des Angebots von Loot­boxen im Spiel nehmen, auf die Chancen, einen wertvollen Gegenstand in einer Lootbox zu erhalten, und die Stärke der Gegner — alles mit dem Ziel, die Nutzenden an das Spiel zu binden und deren Ausgaben im Spiel zu steigern. Sofern solche Algorithmen bei suchtgefährdeten Spielerinnen und Spielern eingesetzt würden, könne dies eine aggressive Geschäftspraxis (Art. 8, 9 UGP-RL) darstellen. Zudem sollten beim Verkauf von Lootboxen die Preise und wesentliche Merkmale benannt werden. Außerdem erwartet die EU-Kommission, dass beim Einsatz von kostenpflichtigen Lootboxen klare Hinweise auf das Bestehen bezahlter Inhalte sowie die Gewinnwahrscheinlichkeiten bestimmter Gegenstände angegeben werden. Da Loot­boxen oft durch In-Game-Währungen gekauft werden können, soll daneben immer auch der Preis in realer Währung angegeben werden. Neben den Regelungen im UWG wurden mit der Digitale-Inhalte-Richtlinie der EU letztes Jahr auch weitere Beschränkungen für Lootboxen eingeführt. Je nach Ausgestaltung der Lootbox als digitaler Inhalt stehen den Verbraucherinnen und Verbrauchern umfangreiche Widerrufsrechte für ihre Lootbox-Käufe zu. Dies zeigt, dass Lootboxen auch durch das europäische Verbraucherschutzrecht — für den deutschen Gesetzgeber abschließend — weiter reguliert und beschränkt worden sind.

Jugendschutzrecht

Und auch im Jugendschutzgesetz (JuSchG) wurden 2021 neue Regelungen für Lootboxen („glücksspielähn­liche Mechanismen“) eingeführt, wonach diese als sogenannte Interaktions- bzw. Nutzungsrisiken bei der Be­urteilung der Entwicklungsbeeinträchtigung einbezogen werden können. Lorenzo von Petersdorff von der USK stellte beim game-Workshop die neuen Leitkriterien der USK vor, die gemeinsam mit den für die Alterskennzeichnung zuständigen Obersten Jugendbehörden der Länder erarbeitet worden sind. Danach muss auf der Verpackung eines Spiels mit Zusatzhinweisen (Deskriptoren) unter anderem auf Lootboxen hingewiesen werden („In-Game-Käufe + zufällige Objekte“). Die Begrifflichkeit „Lootbox“ wird dabei im Übrigen deshalb nicht verwendet, weil Umfragen ergaben, dass Eltern diese nicht kennen. Je nach Vorsorgemaßnahmen auf der Plattform (beispielsweise wenn Lootbox-Käufe nicht ausgeschaltet werden können), können Lootboxen auch in die Altersbewertung mit einfließen. Die neuen Regelungen gelten für Neueinreichungen seit dem 1. Januar 2023 und werden in den Gremien der USK bereits angewendet. Schon jetzt lässt sich feststellen, dass bei vielen neuen Spielen mit Lootboxen deutlich höhere Alterskennzeichen vergeben werden. Auch im Jugendschutzrecht gibt es also neue Lootbox-beschränkende Regeln.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass aufgrund des Community-Feedbacks bei vielen neuen Games Lootboxen nur noch eingeschränkt und vielfach nicht mehr gegen echtes Geld oder virtuelle Währung angeboten werden. Auch andere Aspekte ihrer Funktionalität werden angepasst und es wird insgesamt noch stärker für Trans­parenz gesorgt. In immer mehr Spielen wird sogar ganz auf Lootboxen verzichtet. Dies zeigt, dass der Markt vielfach schneller reguliert als der Gesetzgeber. Aber auch mit Blick auf den gesetzlichen Rahmen in Deutschland wurde sehr deutlich, dass Lootboxen schon heute umfassend reguliert werden — sowohl auf europäischer als auch auf deutscher beziehungsweise Länderebene. Damit wurde der Eindruck, dass Lootboxen unreguliert wären und es daher gesetz­geberischen Handlungsbedarf gebe, klar widerlegt. Da es sich aber um viele neue Regelungen handelt, muss sich dies vielleicht auch erst rumsprechen. Dafür und für ein besseres gemeinsames Verständnis des gesetzlichen Rahmens für Lootboxen gab es den Workshop für die Mit­glieder des game — für alle anderen gibt es nun diesen Kolumnenbeitrag.


Kurzvita

Dr. Christian-Henner Hentsch ist Leiter Recht & Regulierung beim game — Verband der deutschen Games-Branche. Daneben ist er Professor für Urheber- und Medienrecht an der TH Köln.

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