In seiner Kolumne "Standpunkt" kommentiert Olaf Wolters als Experte für digitale Unterhaltungsmedien, Urheberrecht und Medienregulierung aktuelle Branchenentwicklungen.

Die Medien werden oft als die vierte Gewalt im Staat bezeichnet. Es wird nicht oft thematisiert, aber wir leben in der Mediendemokratie. Diese ist meiner Meinung nach dadurch gekennzeichnet, dass die staatliche Souveränität nicht mehr vom Volk ausgeht, sondern von den Medien und der sogenannten Medienöffentlichkeit. Die Kommentatoren haben in den letzten Wochen öfter die Diskussionen um den Bundespräsidenten und ACTA miteinander in Bezug gesetzt und dies dokumentiert anschaulich, wie die Medien ihre Muskeln spielen lassen können und sowohl Staat als auch Politik vor sich hertreiben können. Die Willensbildung des Volkes wird durch Medienberichterstattung so geschickt gelenkt, dass eine Legitimation durch das Volk offensichtlich erscheint. In beiden Fällen haben die Medien komplexe Sachverhalte so simplifiziert, dass sich Otto-Normal-Bürger unabhängig von der konkreten Faktenlage eine Meinung bilden konnte. Dabei bleibt leider manchmal die inhaltliche Tiefe und oft die auch die mediale Neutralität auf der Strecke.

Die Diskussion um den zurückgetretenen Bundespräsidenten hat die verfassungsrechtlich manifestierte Unschuldsvermutung vollständig auf dem Altar der Pressefreiheit geopfert. Sollte die Staatsanwaltschaft Hannover alle Ermittlungen einstellen, hätte der ehemalige Bundespräsident als unbescholtener Bürger sein Amt und damit sein Lebenstraum verloren. Jetzt kann man geteilter Meinung sein, ob das Krisenmanagement des ehemaligen Bundespräsidenten gelungen war oder nicht, der Schaden, der aus dem von den Medien erzwungenen Rücktritt hervorgegangen ist, kann nicht mehr repariert werden.

Bei der ACTA-Debatte ist bemerkenswert, dass eine neutrale Berichterstattung kaum möglich erscheint. Auf Spiegel-Online wird Netzpolitik "aus der Nische" herausgeholt und die ACTA-Proteste zum "Rückschlag der Generation Twitter" stilisiert. Auch im GamesMarkt ist eine versteckte Sympathie für die Anliegen der Netzgemeinde ableitbar. Dabei wird verkannt, dass die Mehrheit der Deutschen eben nicht zur Netzgemeinde gehört und das Internet immer noch und zum Teil mit gutem Recht mit großem Argwohn betrachten. Die gefühlte Wahrnehmung zeigt in eine andere Richtung.

Die Netzgemeinde, ich beziehe Netzjournalisten und Netzpolitiker explizit in diese Begrifflichkeit mit ein, dokumentiert anschaulich, wie eine verhältnismäßig kleine Interessengruppen es schafft, die Medienöffentlichkeit in Ihrem Sinne zu beeinflussen. Eloquente Meinungsführer aus dieser Gruppe sehen in ACTA den Untergang des Abendlandes aufziehen. Die Argumente derselben sind dabei so stereotyp und wie einfallslos. Für Sascha Lobo (Markenzeichen: Irokesen-Haarschnitt in Vodafone-Rot) nimmt die Unterhaltungsindustrie lieber den Kampf gegen das Netz auf, als sich um neue Geschäftsmodelle zu kümmern. Das rabiate Vorgehen in Sachen ACTA erinnere an die Abschreckungspolitik des Kalten Krieges - und verprelle eine ganze Generation.

GamesMarkt-Redakteur Frederik Hammes sieht das zwar deutlich differenzierter, allerdings sieht auch er das Heil der Branche in komfortablen Online-Diensten wie iTunes, Netflix und Steam und nicht in rechtlichen Reglungen, "die aus der Vergangenheitsbetrachtung es unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass dieses spezielle Abkommen ein Hase-und-Igel-Spiel beende, das so alt wie das Internet sei" (siehe dazu "Das ACTA-Problem" in: GamesMarkt 5/2012, Seite 14ff; Anm. d. Red.). Sehr ähnlich klingen einige Aussagen von Netzpolitikern wie Jimmy Schulz. Der sieht es nicht als Aufgabe des Staates, überkommene Geschäftsmodelle zu subventionieren oder gar neue zu erfinden.

Das klingt gerade so, als fordere der König in Zeiten der bürgerlichen Revolution eine höhere Apanage zur Finanzierung der Palastwache. Dem ist aber nicht so. Die Forderung der Unterhaltungsindustrie nach einem belastbaren internationalen Rechtsrahmen für ihre Inhalte ist nicht nur legitim, sondern auch im gesellschaftlichen Interesse. Die moderne Gesellschaft funktioniert nur deshalb, weil es differenzierte Wertesysteme gibt, die das gedeihliche Miteinander auch rechtlich absichern. In einer globalisierten Welt gehören dazu auch internationale Abkommen wie ACTA, die in der zivilisierten Welt zumindest einen rechtlichen Minimalstandard setzen. Die Netzaktivisten, die das Internet pauschal vor rechtlichen Regelungen schützen wollen, setzen Netzneutralität und Internetfreiheit mit einem rechtsfreien Raum gleich. Diese Annahme ist grundfalsch. Und die Politik? Die agiert teilweise wie in dem Kinderspiel "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?". Niemand! Und wenn er kommt? Dann laufen wir!

Der Kolumnist Olaf Wolters war Geschäftsführer des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) und Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU). Heute ist er Partner der Unternehmensberatung Conflutainment und Mitglied der renommierten Medienkanzlei Boehmert & Boehmert. Als Experte für digitale Unterhaltungsmedien sowie für Urheberrecht und Medienregulierung kommentiert er aktuelle Branchenentwicklungen.

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