Medienboard-Chef Jürgens: "Wir dürfen unseren Standortvorteil nicht verspielen"
Im Triple-Interview mit GamesMarkt sprechen Helge Jürgens und die Geschäftsführer zweier Berliner Entwickler - Tiny Crocodile Studios und Maschinen-Mensch - Klartext über die Hauptstadt und was in Zukunft nötig ist, um im Standort-Wettstreit die Nase vorne zu haben.
Kein anderes Bundesland hat mehr Computerspielentwickler als Berlin. Seit 2017/18 verzeichnet man dort den stärksten Zuwachs an Beschäftigten in Deutschland und auch umsatzmäßig spielt das Games-Capital vorne mit. Doch welche wirtschaftliche Relevanz und Imagefaktor haben Videospiele für den Standort? Und wie geht man hier mit der Pandemie um? Ein Triple-Interview mit Medienboard-Geschäftsführer Helge Jürgens sowie den Gamestudio-CEOs Johanna Janiszewski von Tiny Crocodile Studios und Johannes Kristmann von Maschinen-Mensch gibt Aufschluss über diese Fragen.
GamesMarkt: Herr Jürgens, Sie sind seit Januar 2016 Geschäftsführer des Medienboards und für die Weiterentwicklung des Gamesstandorts zuständig. In welcher Verfassung befindet sich der Gamesstandort Berlin?
Helge Jürgens: Der Gamesstandort Berlin ist in den letzten Jahren weiter gewachsen und hat sich zunehmend professionalisiert. Die hervorragende Entwicklung zeigt sich in vielerlei Hinsicht: in der neuen Studie vom game Verband ("Die Games-Branche in Deutschland 2018/19/20" ) schneidet Berlin im Städtevergleich mit den meisten Gamesunternehmen und dem größten Zuwachs an Beschäftigten (insbesondere durch Ubisoft und Kolibri Games) am besten ab und ist auch bei den internationalen Ansiedlungen ganz vorne mit dabei. Eine weitere Messlatte sind die zahlreichen Preise und Nominierungen bei den wichtigsten deutschen Awards: Alleine beim Deutschen Computerspielpreis 2020 und Entwicklerpreis 2021 gab es 34 Nominierungen für Spiele aus Berlin, beim DCP lag Berlin bei der Anzahl der Preise dann auch vor allen anderen Bundesländern. Berliner Games sind inhaltlich wie künstlerisch stark und die Branche ist ein absoluter Wachstumsmarkt. Die Zukunft der Branche gilt es nun zu sichern, denn die Corona-Pandemie hat sich auch auf die hiesige Entwicklerszene ausgewirkt.
2020 war ein schwieriges Jahr. So stellt die Corona-Krise auch Unternehmen der Gamesbranche seit fast einem Jahr vor neue Herausforderungen. Können Sie mittlerweile abschätzen, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Pandemie-Situation auf die deutsche Spielebranche hat?
Jürgens: Die Gamesbranche wurde oft als Gewinner der Krise gefeiert. Doch bei den guten Umsatzzahlen dürfen wir nicht vergessen, dass einerseits vor allem große Studios und nur bereits vor der Pandemie fertiggestellte Spiele profitiert haben, sich andererseits die Auswirkungen der Krise erst später in den Umsatzkurve bemerkbar machen werden. Hinzu kommt der Fakt, dass der Anteil deutscher Spiele auf dem Weltmarkt mit 4,9 Prozent weiterhin gering ist, der akute "Gaming Boom" also nicht auf die deutsche Branche einzahlt. Viele kleine und mittlere Studios, von denen die deutsche Gamesbranche explizit geprägt ist, kämpfen gerade um ihr
Business. Mit dem Ausfall von Messen können Publisher- Suche und Marketing nicht wie gewohnt stattfinden, Investoren sind vorsichtiger, die Fertigstellung von Spielen verzögert sich, Neugründungen werden erschwert, Nachwuchsteams trifft es hart, Liquiditätsprobleme nehmen zu etc. Auch wenn die Stimmung in der Branche zunächst optimistisch, der Umsatz gut und das Kerngeschäft nicht betroffen war, wird die Pandemie auch für die Spielewirtschaft nicht ohne Folgen bleiben. Mit dem neuen medien.barometer berlinbrandenburg, das am 2. Februar erscheint und schwerpunktmäßig die Auswirkungen der Pandemie auf die Medienbranche untersucht, versprechen wir uns konkretere Erkenntnisse.
Wichtige Branchentreffs, die als Kontaktbörse dienen, wie die EGX, wurden abgesagt oder - wie die gamesweekberlin - ins Digitale verschoben. Welche Folgen hat dieser Umstand nach sich gezogen?
Johanna Janiszewski: Die Absage einer Messe ist sowohl für die Besucherinnen und Besucher, als auch die Veranstalterinnen und Veranstalter ein schwerer Schlag. Mein großer Respekt gilt daher denjenigen, die es geschafft haben, ihre Veranstaltung in derart kurzer Zeit zu digitalisieren. Flexibilität und Digitalität zeichnet unsere Branche aus und das haben all die gezeigt, die ihre Veranstaltung in den digitalen Raum verlegt haben. Ganz ohne Wermutstropfen kommen aber auch die digitalen Messen nicht aus. Der persönliche Austausch, die Kontaktpflege und der Aufbau neuer Branchenbeziehungen ist für viele sehr wichtig, beides litt unter der Distanz und teilweise schlechter Internetverbindung. Auch die Unterschiede der Zeitzonen machen sich bemerkbar. Wenn auch nicht in Form eines Jetlags, sondern darin, nachts um 02:00 Uhr Vorträgen aus San Francisco zu folgen. Dennoch bieten die digitalen Veranstaltungen mehr neue Chancen, als sie Nachteile mit sich bringen. Menschen mit körperlichen, finanziellen oder anderweitigen Einschränkungen wird eine bessere Teilhabe ermöglicht, was die Branche diverser machen wird. Und auch die Umwelt wird weniger belastet, wenn sich Messeteilnehmer*innen online austauschen. Für die Zukunft wünsche ich mir eine gesunde und bewusst ausgewählte Mischung aus analogen und digitalen Veranstaltungen.
Herr Jürgens, Sie haben sich verstärkt in letzter Zeit bei Roundtables mit Entwicklerinnen und Entwicklern sowie Produzentinnen und Produzenten verschiedener Branchensegmente getroffen, deren Lage diskutiert und Bedürfnisse ermittelt. Welche Angebote macht das Medienboard, um die Auswirkungen der Krise abzufedern?
Jürgens: Wir setzen an verschiedenen Punkten an. Natürlich fördern wir weiter, in der letzten Runde haben wir zwölf Games mit über 600.000 Euro unterstützt. Wir arbeiten darüber hinaus eng mit unseren Fördernehmerinnen zusammen, wenn es darum geht, neue Veranstaltungsformate zu entwickeln. Die digitalen Ausgaben von A MAZE./Berlin oder der Gamesweekberlin waren 2020 besucherstarke Premieren im Netz. Neben der Förderung von Gamesveranstaltungen unterstützen wir aber auch digitale Initiativen des games:net, berlinbrandenburg oder der Stiftung Digitale Spielekultur, um die Branche trotz Kontaktbeschränkungen im Dialog zu halten. Im letzten Jahr haben wir, wie in Ihrer Frage erwähnt, Branchen-Roundtables veranstaltet, um zu erörtern, inwiefern sich die Bedarfe der Entwicklerinnen durch die aktuelle Situation verändert haben. Diese Informationen sind nicht nur für uns wichtig - um effektiv reagieren zu können - wir geben sie auch an politische Entscheider*innen weiter. Eines der Ergebnisse dieser Roundtable-Gespräche war der deutliche Mangel an Gelegenheiten durch Presse- und Marketingmaßnahmen auf die eigenen Spiele aufmerksam zu machen. So waren wir froh über neue Marketing-Events, wie dem Gamesweekberlin DevBooster, ein Online-Wettbewerb, der genau diese Lücke zu schließen sucht. Zudem haben wir die Medienboard-Marketing-Maßnahmen für geförderte Games im letzten Jahr hochgefahren, und auf unseren Social-Media-Kanälen explizit in der Hauptstadtregion entwickelte Spiele kommunikativ unterstützt.
Gerade für Start-ups und junge Unternehmen ist Berlin ein interessantes Pflaster. Wie können Games-Studios in Berlin nachhaltig wachsen und welche Infrastruktur bzw. Voraussetzungen braucht es dafür?
Janiszewski: Bezahlbare Mieten und eine gute Internetverbindung sind unabdingbar. Darüber hinaus floriert die Branche, wenn sie Möglichkeiten zur Vernetzung und zum Austausch untereinander, aber auch mit anderen Branchen und Künstlerinnen und Künstlern bekommt. Förderangebote müssen zur Branche passen und zugängliche Beratungsangebote sicherstellen, dass nicht nur viele neue Start-ups gegründet werden, sondern sich langfristig nachhaltig entwickeln können.
Das Medienboard schreibt nun über die Jahre eine Erfolgsgeschichte. Was ist die größte Herausforderung für die nahe Zukunft?
Jürgens: Eine Schwerpunktaufgabe wird sein, die Unterbrechung der Wertschöpfungsketten durch die Pandemie zu beenden. Wir müssen auf dem Wachstumspfad bleiben und neben der Förderung mit guten Netzwerkaktivitäten, Marketing und Events die Entwickler*innen mit potentiellen Geld- und Auftraggebern sowie Investoren verbinden! Aber auch mit der Spielergemeinschaft. Wie das Jahr 2020 gezeigt hat, sind die Gamerinnen und Gamer hungrig nach neuen Spielen und guten Inhalten. Wir müssen es auch schaffen, unsere Spiele so sichtbar zu halten, dass sie im internationalen Wettbewerb bestehen können. Genau hier möchten wir auch mit der Förderung weitermachen, immer in engem Schulterschluss mit der Branche. Wir dürfen unseren Standortvorteil nicht verspielen, sondern müssen schon während der Krise die nächsten Schritte planen. Die regionale und nationale Förderung muss ausgebaut werden und bei den Konjunkturprogrammen darf die Gamesbranche nicht vergessen werden. Und in neuen Geschäftsmodellen und digitalen Veranstaltungsformaten liegt auch eine Chance für die digitale Transformation. Die Gamesbranche könnte hier als Schlüsseltechnologie für andere Industriezweige eine große Rolle spielen. Kinofilme wurden in der Zwischenzeit mit Game Engines digital produziert, Veranstaltungen finden in VR statt, der Bedarf an Online-Learning steigt und Konzerne nutzen für digitale Arbeits-, Produktions- und Sales-Prozesse das Konzept der Gamification.
Das ganze Interview lesen Sie in der neuesten GamesMarkt-Ausgabe.