Steam, Porn Games und der Jugendschutz

Seit März spielt Steam in Deutschland eigene Alterskennzeichnungen aus, wo die der USK nicht greifen. Doch wenn der Onlineshop den deutschen Schutzbehörden in Gänze gefallen will, muss er noch weitere Probleme lösen.
Lange kamen Spiele, die auf Steam vertrieben werden, hierzulande größtenteils ohne Alterskennzeichnung aus, doch das hat sich nun geändert: Seit dem 1. März 2023 spielt Steam eigene Alterskennzeichnungen in Deutschland aus, und zwar auch dann, wenn die entsprechenden Spiele nicht von der USK gewertet sind.
Die Kennzeichen, die in einer eigenen Schriftart und dem charakteristischen Blauton von Steam-Software wie dem Big Picture Mode gehalten sind, kommen in den in Deutschland üblichen Alterseinstufungen 0, 6, 12, 16 und 18 daher. Bei Spielen, die eine USK-Kennzeichnung besitzen, wird diese jedoch bevorzugt ausgespielt. Zuvor waren Alterskennzeichnungen in Deutschland nur angezeigt worden, wenn ein Spiel eine USK-Wertung bekommen hatte.
Grund für die Änderung in Steams Altersprüfung ist eine Gesetzesänderung auf Bundesebene, die 2021 in Kraft trat. Gemäß §14a JuSchG des neuen Jugendschutzgesetzes gilt seitdem eine Kennzeichnungspflicht für Spiele- und Filmplattformen mit über einer Million Nutzer:innen, zu denen auch Steam gehört. Diese Plattformen müssen für jedes Medium eine deutlich wahrnehmbare Kennzeichnung in den in Deutschland üblichen Altersstufenschritten angeben. Die gesetzliche Pflicht kannjedoch, anders als gemeinhin angenommen, nicht nur durch eine USK- beziehungsweise FSK-Kennzeichnung erfüllt werden. Ebenfalls möglich ist eine manuelle Klassifizierung der jeweiligen Medien durch eine:n Jugendschutzbeauftragte:n oder eine automatisierte Selbstklassifizierung. Eine solche Automatisierung kann mit der International Age Rating Classification (IARC) verknüpft sein, die je nach Land dann automatisch passende ESRB-, PEGI- oder USK-Wertungen verknüpft, muss dies aber nicht tun. Das System muss lediglich von den einschlägigen Behörden anerkannt sein. Hier setzt Valve an und nutzt ein automatisiertes System, das jedoch individuell für Steam gebaut wurde und neben Selbsteinschätzungen der Entwickler:innen auch manuelle Reviews durch das Content-Team von Steam vorsieht. Ähnlich arbeitet beispielsweise Apple, das für seinen App Store ebenfalls ein individuelles Ratingsystem auf Basis von Fragebögen nutzt, die nicht mit IARC-System in Zusammenhang stehen. Kaci Aitchison Boyle, Pressesprecherin für den US-Konzern Valve, erklärt das gegenüber GamesMarkt wie folgt: „Das auf Steam verwendete Alterseinstufungssystem basiert nicht auf der IARC, sondern wurde in Zusammenarbeit mit den brasilianischen Aufsichtsbehörden und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) in Deutschland speziell für Steam entwickelt. Die Bewertung basiert auf einem benutzerdefinierten Fragebogen zur Selbsteinschätzung und der manuellen Überprüfung durch unsere Content-Review-Teams sowie auf dem Feedback unserer Nutzer. Insbesondere der Fragebogen zur Selbstbewertung wurde kürzlich aktualisiert.“ Besagter Fragebogen ist von Entwickler:innen auszufüllen, die ihr Spiel auf Steam hochladen, und enthält seit dem 1. März auch die deutschen Kriterien. Die bisherige Version dieses Systems war bereits seit 2020 für den brasilianischen Markt in Benutzung, da dort seit 2019 jedes veröffentlichte Spiel eine Altersklassifikation besitzen muss.
In der Praxis verlangt Steam nun also von allen Studios und Publishern, die ein Spiel via Steam veröffentlichen, das Ausfüllen eines Fragebogens zu möglicherweise für die Alterskennzeichnung relevanten Inhalten wie expliziter Darstellung von Gewalt oder Sexualität, Flüchen und anderen Sachverhalten. Basierend auf den Antworten wird eine Alterskennzeichnung in Brasilien und Deutschland vergeben, Falschangaben oder Missverständnisse sollen über Content-Reviews durch ein spezialisiertes Team oder User-Feedback aufgeräumt werden, wobei Valve bisher nicht spezifiziert hat, wie groß das Moderationsteam aufgestellt ist und wie das Feedback die entsprechenden Stellen erreichen muss, um einen Einfluss auf die Einstufung zu haben.
Doch wie sieht es mit Spielen aus, die in Deutschland ohnehin bereits von der USK bewertet sind? Für diese Games werden keine der Valve-eigenen Symbole ausgespielt, hier wird vorrangig die strengere USK-Einstufung genutzt. Eine Konkurrenz besteht also nicht. Die USK bewertet das System durchaus positiv. „Rechtlich gesehen ist es so, dass auf ein vorhandenes Alterskennzeichen der USK, sofern nach dem JuSchG geprüft wurde, auch im Online-Bereich hingewiesen werden muss. Aus unserer Sicht ist diese Art der Umsetzung eine gute Lösung und dient der Transparenz für Nutzer:innen, die somit gut erkennen können, was Anbieter-eigene Kennzeichen sind und welche im Rahmen eines USK-Prüfverfahrens vergeben wurden“, erläutert Björn Jahn, Projektmanager für USK.online auf Anfrage. Die Unterschiede in der Alterskennzeichnung sind in der Tat gut erkennbar, da sich die USK-Siegel und die Steam-eigenen Kennzeichnungen deutlich unterscheiden, sowohl farblich und in der Schriftart als auch durch den USK-Schriftzug.
„Aus unserer Sicht ist diese Art der Umsetzung eine gute Lösung und dient der Transparenz für Nutzer:innen.“ Björn Jahn, USK.online
Steam ist in Deutschland damit also einen Schritt näher an einer Alterskennzeichnung für alle Medien. Noch sind nicht alle Spiele auf der Plattform mit den Siegeln versehen, da noch nicht alle Studios für ihre bereits veröffentlichten Spiele die Fragebögen nachgereicht haben. Für Spiele, die vor 2020 auf Steam erschienen sind, ist das Ausfüllen allerdings ohnehin optional. Alle neuen Titel bringen diese Voraussetzung jedoch nun zumindest mit.
Was heißt das für Titel, die bisher in Deutschland nicht zu bekommen waren, weil sie zum einen möglicherweise jugendgefährdende Inhalte zeigten, zum anderen aber keine Alterskennzeichnung hatten? Konkret geht es vor allem um sogenannte Adult Games, also Spiele, die explizite sexuelle Inhalte darstellen. Beispielsweise sind beträchtliche Teile der auf der jährlichen online stattfindenden Hentai Expo ausgestellten Adult Games in Deutschland nicht über den Steam-Shop mit seiner enormen Nutzer:innen-Basis erhältlich, obwohl sie dort international sehr wohl angeboten werden und auch von Deutschland aus auf spezialisierten Onlineshops wie DLSite oder kleineren Seiten wie itch.io zu bekommen sind. Stein des Anstoßes für die grundsätzliche Sperrung von Adult Games auf Steam in Deutschland war eine Beschwerde der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) beim Online-Anbieter Ende 2019: Die Medienanstalt störte sich daran, dass Steam-User:innen jeden Alters die auf den Shopseiten via Screenshots dargestellten expliziten Handlungen zugreifen konnten, ohne dass Steam eine starke Altersprüfung der User:innen verlangte. „Im Zuge der allgemeinen Telemedienbeobachtung ist die MA HSH im November 2019 auf pornografische Vorschauen zu Sexgames auf Steam aufmerksam geworden. Die Vorschauen enthielten Sexualdarstellungen, die als pornografisch zu bewerten waren und daher gemäß Jugendmedienschutz-Staatsvertrag nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden dürfen. Dies war jedoch nicht der Fall“, erklärte Eva-Maria Sommer, Direktorin der MA HSH, den Vorgang damals. „Die MA HSH wies die Valve Corporation daher auf die Verstöße hin und regte eine Nachbesserung an. Die monierten Inhalte wurden umgehend entfernt und die Spiele mit einer Sperre für Deutschland, sodass sie selbst für Erwachsene nicht mehr zugänglich waren“, so Sommer. Statt den Zugriff Jugendschutz konform zu gestalten, sperrte Valve lieber die Inhalte für alle deutschen Verbraucher:innen.
Wenn Steam seinen gesamten Katalog in Deutschland wieder anbieten möchte, braucht es mehr als Kennzeichen: Eine sichere Altersprüfung und ein separater Adult-Bereich müssen her.
Die Sperre, welche die Community oft dem harten Jugendmedienschutz Deutschlands zurechnet und gelegentlich für Kritik an den gesetzlichen Regelungen genutzt wird, ist rechtlich also gar nicht notwendig. Valve könnte sie jederzeit durch eine geeignete, User:innen-freundlichere Umsetzung ersetzen. Der Aufwand hierfür wäre verhältnismäßig gering. „Ergänzend zu einer verlässlichen Alterskennzeichnung sollte unbedingt ein geeignetes Jugendschutzprogramm implementiert werden, das einen altersdifferenzierten Zugang ermöglicht und so Kinder oder Jugendliche vor für sie nicht geeigneten Angeboten schützen kann. Für offensichtlich schwer jugendgefährdende oder einfach jugendgefährdende Spiele sollte zudem durch geeignete Altersverifikationssysteme sichergestellt werden, dass nur Erwachsene Zugang haben, indem Inhalte in geschlossenen Benutzergruppen verortet werden“, erläutert Sommer Valves Möglichkeiten. Nach Ansicht der Medienanstalt hätten die entsprechenden Titel also beispielsweise in einer separaten, mit einer Altersverifikation gesicherten Shop-Unterstruktur separiert sein müssen. Aktuell bittet Steam nur um manuelle Eingabe des Geburtsdatums beim Ansteuern von einzelnen Shopseiten, überprüft die Richtigkeit der Angaben allerdings nicht. Stand heute bedeutet das neue System der Alterskennzeichnungen für Adult Games folglich keine Rückkehr auf den deutschen Steam-Marktplatz. Und Valve bezeugt aktuell auch noch keine Pläne, irgendetwas an ihrer Shopstruktur so zu ändern, um mit den deutschen Schutzgesetzen konform zu gehen. „Die jüngste Aktualisierung der Altersfreigabe auf Steam hat keine Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Inhalten in Deutschland; Inhalte, die nach der Aktualisierung als ungeeignet für den Vertrieb in Deutschland eingestuft werden, wären auch vor der Aktualisierung als solche identifiziert worden“, erklärt Aitchison Boyle. Der eigentliche Streitpunkt der für Minderjährige zu einfach erreichbaren Shop-Seiten bei Adult Games ist durch die automatisierte Einstufung eben noch nicht gelöst. Allerdings könnte sie in Zukunft durchaus eine mögliche Basis für Bestrebungen Valves darstellen, auf die Behörden zuzugehen und diesen Teil des eigenen Angebots wieder für Deutschland zu öffnen — es bleibt abzuwarten, ob der immerhin zu den kaufkräftigsten Gamingmärkten gehörende deutsche Absatzmarkt dem US-amerikanischen Software-Unternehmen diese Bemühungen wert ist.