MEINUNG: And the party goes on and on... aber wer hat den Kater?
GamesMarkt bat den Finanzexperten Bernie Stampfer und den Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow um eine Einschätzung der aktuellen Lage der Spieleindustrie. In ihren Analysen kommen die beiden zu durchaus unterschiedlichen Aussagen - zunächst die von Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow.
We live in exponential times" - und das gilt ganz sicher und gerade auch für die Gamesindustrie. Die Anzahl der Plattformen steigt stetig, die "Next-Gen" ist veröffentlicht und auch die Smartphone- und Tabletmärkte quellen über vor Angeboten. Noch nie hatten Spieler kostengünstige Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Spielen in einer solchen Breite. Neben den etablierten Inhalteanbietern drängen nach weiteren Konsolidierungswellen international wie national jüngere Unternehmen auf den Markt, gut angefüttert durch Venture-Capital und inzwischen auch eigenem Cashflow. Sämtliche Statistiken belegen, dass die Computer- und Videospielindustrie nie besser dastand und sich der Boom ungebrochen fortsetzt. Aus einem Publisher-dominierten Oligopol ist längst ein breites, hybrides Polypol geworden. Eigentlich scheint es keinerlei Anlass zur Kritik zu geben!
Oder gibt es vielleicht doch Grund, den Finger mahnend zu heben? Vor allem, wenn man mal von globalem Jubeln weg ins eigene Heimatland schaut, weil ja Deutschland nun auch nicht China ist, kann man zumindest einige Gedanken hierzu entfalten. Denn es wird z. B. kräftig über stetig sinkende Handelsmargen gestöhnt, zum Teil dramatisch steigende Kosten für Akquise und Retention von neuen Spielern in der Millionenherde der Onlinespiele, und natürlich schauen wir ins Jahr 2014, in dem kaum noch Budgets für größere neue, innovative Produktionen jenseits etablierter Brands zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sind die altbekannten erfolgreichen Onlinespielemechanismen stark überbucht. Zugegeben, wir sind das Land der Weltmeister in der Entwicklung von Farmspielen jeglicher Art, ob Bauernhof, Mittelalter, Fantasy, Antike oder auch Weltraum - Aufbauen, Warten, Ernten und wieder Aufbauen, Warten, Ernten ... Das können wir in Perfektion. Aber sind die Zeiten des Booms nicht durch vollkommen andere Produkte geprägt als durch diejenigen, die im hiesigen Markt entwickelt werden? Wo sind die Investitionen aus den Browsergames-Boomjahren eingeflossen? In welchem Zukunftsfeld sind wir heute (noch oder schon) führend? Wie steht es wirklich um die bisherigen "neuen Stars"? Hierzu ein paar durchaus kritische Nachfragen.
Auf Next Gen folgt Next Gen, folgt Next Gen ... und so weiter? Mit der Wii U, der PS4 und der Xbox One stehen drei neue Konsolen in den Regalen der realen und virtuellen Kaufhäuser. Vor allem PS4 und Xbox One haben mit dem Weihnachtsgeschäft 2013 bewiesen, dass beide Konsolen parallel existieren können, denn die Nachfrage kann sowohl aus Sicht von Sony als auch von Microsoft als überwiegend positiv eingestuft werden. Ganz anders sieht es aber beim Line-up aus. Denn im Gegensatz zur Hardware war es auch im Weihnachtsgeschäft ein PS3-Spiel, welches den Markt aufgeräumt hat. "GTA V" - und eben nicht "FIFA" oder "Killzone" - war das Überspiel 2013. Die resultierende Frage: Warum war es kein Launchtitel? Die großen Konsolen werden anhand neuer Titel und neuer Spielkonzepte erst noch unter Beweis stellen müssen, ob sie tatsächlich noch die Platzhirsche sind. Der Geräteabsatz zweier von drei Plattformen stagniert nun nach Weihnachten, das belegen die Statistiken jetzt denn auch unisono, und wird allenfalls durch die Öffnung neuer Märkte - vor allem in den BRIC-Ländern - aufgefangen. Und jenseits der Hardware? Mit Blick aufs eigene Land bleibt die kurze knackige Frage: Welches deutsche Studio "spielt" hier noch mit und mit welchen Budgets?
Sein oder nicht mobile sein? Das ist hier die Frage Fast schon philosophisch mag man fragen: Mobile oder nicht mobile? Natürlich explodiert der Markt, und die App- und Play-Stores krachen bei dem Spieleangebot fast auseinander; auch hierzulande werden immer mehr "free-to-plays" in Millionengrößen heruntergeladen (man mag aber fragen: wann gespielt?). Die resultierenden Fragen: Was ist das neue Window of Opportunity? Und welche ROIs sind realistisch? Eine kurze Kalkulation jenseits des Free-to-Play: Wenn ich in ein Mobile-Game ein Million Euro investiere und nur 90 Cent Verkaufserlöse habe, minus Store-Gebühr, Marketing und anderer kleinerer Fixkosten, müssen da mindestens zwei Millionen Stück "gekauft" werden. Wenn ein Konsolentitel über zwei Millionen Stück absetzt, spricht man von einem echten Markterfolg ... Wie viele gibt es davon? In Relation zum Angebot bleibt die Feststellung: Das Überangebot erdrückt den Markt und somit auch die Unternehmen. Fishlabs war nur eines der Opfer. So auch einige Free-to-Play mit überproportionalen Gewinnen existieren: Wie viele Spiele funktionieren - wie viel "Candy Crush", wie viele "Temple Runs" etc. werden kommerziell erfolgreich? Man darf auch hier leise nachfragen, wie viele nationale Unternehmen hier noch mit dabei sind. Der Zug hat schon Hochgeschwindigkeit erreicht, da wird das Aufspringen wohl immer schwieriger.
Drittens: Glaskugel, valide Marktforschung oder Instinkt? Wer in der Zukunft bestehen will muss, neue Märkte erschließen sowie strategisch investieren - und das bedeutet Risiko. Aber was sind diese neuen Marktsegmente, wo steckt denn das Wachstum? Und wer sind die Treiber? Sind es die Gamification-Vögel, die derzeit überall herumfliegen und versuchen, jeder Firma, die nicht bei drei auf den Bäumen ist, eine Lösung für "ihr Unternehmen" als "Megamarketingtool" anzubieten? Etwas direkter gefragt: Ist das überhaupt substanziell? Es fehlen Brückenbauer, die hier tatsächlich eine Markterschließung gewährleisten. Es fehlt an echter Marktforschung und eben auch an Instinkt für nachhaltige Trends. Umgekehrt: Wearables und Mobile Media sind ein Metatrend. Da braucht es sowohl Fantasie wie zielgruppenorientierte Marktforschung, die sich an Finanzinvestoren richtet, um die nächste Welle auch in Deutschland anzustoßen.
Auch wenn der Winter milde ausfällt, schläft der Bär?! Hat Deutschland geschlafen? Es sieht fast so aus. Der Winterschlaf einiger nationaler Anbieter ist sehr, sehr tief. Die Frage lautet nun: Wann wachen die Bären wieder auf? Man kann sicherlich keine fünf Jahre vom Browsergame-Booom zehren und dem zunehmenden Druck durch ein internationales Überangebot mit Marken widerstehen. Auch das Verharren auf ehemaligen Kernkompetenzen bei langsam absterbenden Plattformen kann zu Schieflagen führen. Es reicht nicht mehr, eine einzelne Idee zu haben und diese zu entwickeln. Es bedarf ganz anderer Konzepte, um im globalen Wettbewerb zu bestehen ... Transmedia, Crossmedia oder, wie Jenkins es nennt, für "Spreadable Media".
Über Partymetropolen Digitale Spiele sind Bestandteil der Populärkultur geworden, um die herum eine Ökologie entstanden ist, die sich als neue Kultur realer Begegnungen bezeichnen lässt: Messen und Events. Deren Besucherzahlen explodieren geradezu, so etwa auch die gamescom mit über 300.000 Besuchern. Man mag auch fragen: Ist eine GDC in San Francisco bei über 23.000 Teilnehmern noch eine Konferenz oder schon eine zweite Mini-E3? Der Partytross zieht dann noch über Amsterdam, Shanghai, Tokio und viele andere global höchst attraktive Reiseziele weiter. Damit aber nicht genug: Wie viele Wissenschaftskonferenzen verträgt die Welt der Computer- und Videospiele, plus der zahllosen Populärveranstaltungen, die nebenher stattfinden? Etwas zynisch formuliert: Über 50 Tage (Pflicht-)Konferenz- und Partyleben ist dann auch ein wenig zu viel des Guten. Zunehmend verwirrt stellt man sich die Frage: Wo MUSS ich eigentlich hin?
Money Money Money, don't be funny! 2014 wird auch ein Jahr sein, in dem Finanzierungsmodelle auf den Prüfstand müssen. Konsolidierung bedeutet immer auch, dass Geldströme zu den Großen fließen, die Gießkanne mit weniger Löchern ausgestattet ist, und natürlich auch die Frage gestellt werden muss, ob die Stunde von Big Media gekommen ist. Werden die integrierten Medienkonzerne à la Warner, Fox, Comcast als Haifische im Becken wildern? Was eben auch vehemente Auswirkungen auf Inhalte haben wird: Dort, wo "altes Geld" auf die "junge Zielgruppe" trifft, wird es verstärkt zu einer noch größeren Ausbeutung von Marken und Serien kommen - man siehe nur Disney und Lucasfilm. Lizenzdeals dominieren das Konsolengeschäft, haftet diesen doch bis heute das Siegel der Risikominimierungsstrategie an, die natürlich auch in der Gamesindustrie angewandt wird. Umgekehrt bremst dies, sieht man die vollen Portfolios, die Innovationskraft bei den großen Spielen bzw. Anbietern.
Der kurze Blick auf den nationalen Markt: Aber gibt es sie noch, die kleineren, schnellen Boote? Bei einigen Wenigen kann man sicher sein, dass etwa bei Flaregames oder Wooga eine Erfolgsgeschichte folgt. Aber reicht dies für die ganze nationale Branche? Wer zieht da noch mit, wer zieht da nach? Ubisoft/Blue Byte beweisen heute, wie beides gehen könnte. Es gibt Grund genug, krititisch gegenüber meinen deutschen Freunden und Kollegen zu sein. Es gibt Grund genug, auf sie stolz zu sein. Es ist wichtig, dass wir alle beweisen, dass wir innovationsstark, mutig, unternehmerisch zukunftsfähig sind. Dies ist das beste Mittel gegen oder - genauer - vor dem Kater. Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow
Den Beitrag des Finanzexperten Bernie Stampfer, der in seiner Analyse der aktuellen Lage der Spieleindustrie zu durchaus anderen Aussagen kommt, veröffentlichen wir am 7. Februar 2014. Beide Texte erschienen zuerst in der Printausgabe von GamesMarkt am 22. Januar 2014.
Der Autor: Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow ist seit 2008 als Professor an der Universität Paderborn, seit 1.10.2013 Inhaber des Lehrstuhls für Medienökonomie und Medienmanagement. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind die Grundlagen der Medienwirtschaft, mobile Medien, Netzpolitik, neue Institutionenökonomie und Medien sowie Computer- und Videospielindustrie. In der Lehre vertritt er zusätzlich auch noch Sportökonomie sowie Kommunikationswissenschaft. Außerdem ist er Vorstandssprecher eines großen netzpolitischen Vereins (cnetz) sowie Berater für Politik, Medien und Wirtschaft. Darüber hinaus ist er designierter Vorstandsvorsitzender eines Konfuzius-Instituts in Westfalen.