Wer sich aus professionellem Interesse der deutschen Gamesbranche nähert, kann sein blaues Wunder erleben. So variiert die Gesamtzahl ihrer Beschäftigten zwischen 13.000 und 320.000 - je nachdem, welche Quelle man befragt. Auch bei der Anzahl ihrer Unternehmen ist die Diskrepanz zwischen den Befunden riesig. Und das Bundeswirtschaftsministerium schaut tatenlos zu. Das hat die Branche nicht verdient. Ein Kommentar von Harald Hesse.

Wer auszieht, um die deutsche Gamesbranche mit all ihren Parametern zu erfassen, wird das Fürchten lernen!

Steile These? Dann lesen Sie mal weiter!

Nach dem vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) 2014 herausgegebenen "Monitoring zu ausgewählten wirtschaftlichen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft 2013" gibt es in Deutschland im Teilmarkt Software/Games der Kultur- und Kreativwirtschaft knapp 34.000 Unternehmen (Freiberufler und gewerbliche Unternehmer), die mit rund 320.000 Erwerbstätigen (alle Selbständigen und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ohne Minijobs) einen Gesamtumsatz von sage und schreibe 31,5 Milliarden Euro erwirtschaften.

Alles klar auf der Andrea Doria? Abwarten! Jetzt wird's lustig - oder traurig!

Wer nun diesem durchaus beindruckenden Befund vom BMWi die vom BIU veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen für das Jahr 2015 gegenüberstellt, stolpert bei aufmerksamer Lektüre über eine gewisse Diskrepanz zwischen beiden Zahlenblöcken. Laut BIU beschäftigte die Computer- und Videospielindustrie nämlich zum Stichtag 31. März 2015 rund 13.000 Menschen in Deutschland, die in 450 Unternehmen mit der Entwicklung und dem Publishen von digitalen Spielen in Deutschland beschäftigt waren. Zählt man, so der BIU auf seiner Webseite weiter, auch noch die Beschäftigten hinzu, die sich in angrenzenden Bereichen (z.B. Fachverkäufer im Einzelhandel, Journalisten, Wissenschaftler, Mitarbeiter von Behörden und Institutionen) dem Thema Games widmen, steigt die Anzahl der durch die Computer- und Videospielbranche gesicherten Arbeitsstellen auf rund 30.000 Personen.

Zwischen den BMWi- und den BIU-Zahlen haben wir es also mit einer kleinen, aber feinen Differenz von 33.550 bei den Unternehmen und je nach Vergleichswert mit einem Unterschied von 307.000 bzw. 290.000 bei den Beschäftigten zu tun.

Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich trotzdem nicht.

Wie kommt diese Differenz zustande? Ganz einfach! Das BMWi hat in Anlehnung an die international geltende Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft auch die deutsche Software-Industrie, also die ganzen SAP'ler und Konsorten, als Teilmarkt in die Kultur- und Kreativwirtschaft einbezogen. Und so landen die Software- und Gamesindustrie in einem Topf, weil sie ja beide "Softwareprodukte jedweder Art entwickeln und verlegen", wie es im BMWi-Monitoring nachzulesen ist. Ganz anders der BIU. Bei dessen Arbeitsmarkterhebung mußten die SAP'ler & Co. draußen bleiben. Der BIU läßt nur Games-Unternehmen in Reinkultur zu. Entsprechend entwickeln von den insgesamt 450 vom Verband ins Feld geführten Unternehmen 276 schwerpunktmäßig Spiele, während 67 ihren unternehmerischen Fokus auf das Publishing gelegt haben; die verbleibenden 107 Companies der deutschen Computer- und Videospielbranche sind Hybride, die sowohl als Entwickler als auch Publisher im Gamesmarkt agieren. Die Angabe von Firmen aus angrenzenden Bereichen der Gamesindustrie unterließ der BIU gleich ganz, wohl wissend, dass das Eis seines Erhebungstools einer ernsthaften Belastungsprobe kaum standhalten würde.

Da nun eine Angleichung beider Zählungsarten schwerlich möglich ist, neigt der versierte Branchenprofi tendenziell dazu, sich auf die Seite der BIU-Zahlen zu schlagen - sollte man meinen! Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Denn da in der Kultur- und Kreativwirtschaft im Allgemeinen und in der Gamesindustrie im Besonderen ein hohes Maß an ökonomischen und innovativen Potenzialen für Beschäftigung und Wachstum steckt, ist seit einigen Jahren ein massiver Wettbewerb zwischen den Standorten und Regionen um die Förderung des Branchensektors Computer- und Videospiele entstanden. Kein Wunder also, dass in Ermangelung zuverlässiger Kennzahlen jedes Bundesland, das über eine nennenswerte Gamesinfrastruktur verfügt, für sich mit eigenen Branchenindizes aufwartet, die mitunter bemerkenswerte Blüten tragen.

Jüngstes Beispiel eines geradezu zügellosen Standortwettbewerbs ist die Hauptstadtregion mit der Vorlage ihres "Medienindex Berlin-Brandenburg 2015". Ich zitiere von Seite 12: "Die Berlin-Brandenburger Games-Branche erzielte 2013 Umsätze von gut einer Milliarde Euro..." Ok! Dagegen ist nichts einzuwenden, ist ja durchaus möglich, aber dann geht's weiter im Text: "Auch die Anzahl der Unternehmen wuchs leicht, um 3 Prozent, auf rund 1.500 im Jahr 2013." - Oha! - und: "Mit einer Steigerung der Beschäftigungsverhältnisse um 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf nun fast 11.500 im Jahr 2014 weist die Gamesbranche den momentan am stärksten wachsenden Arbeitsmarkt aller hier untersuchten Branchen auf."

Ich wiederhole: Allein in Berlin-Brandenburg zählte die Gamesbranche im Jahr 2013 imposante 1.500 Unternehmen und 11.500 Beschäftigte im Jahr 2014.

Potzblitz!

Wenn ich jetzt aber noch - nur spaßhalber; und um von den Beschäftigtenzahlen mal ganz zu schweigen - die 153 Games-Unternehmen aus den "Arbeitsmarktzahlen 2015" der gamecity:Hamburg (inklusive Unternehmen aus angrenzenden Branchenbereichen) und die 228 Games-Unternehmen (inklusive Unternehmen aus angrenzenden Branchenbereichen) aus der "Gamesstandort Bayern 2013"-Studie addiere, lande ich bereits bei knapp 1.900 (!) Games-Unternehmen an drei Standorten in der Bunten Republik Deutschland. Wir erinnern uns, der BIU sprach von 450 (!) Games-Unternehmen ( nur Entwickler, Publisher und Hypride) in ganz Deutschland. Ja, wie denn wo denn was denn nun?

Vor diesem Hintergrund bekommt jedenfalls die gemeinsame Forderung der beiden Branchenverbände GAME und BIU, die sie seit Jahren mit Recht wie eine Monstranz vor sich hertragen und erst unlängst wieder im Interview mit GamesMarkt wieder betonten, verschärftes Gewicht: "Unstrittig ist auch, dass wir dringend eine Studie benötigen, die den deutschen Sektor Games als Teil der Kultur- und Kreativwirtschaft mit allen maßgeblichen Parametern statistisch erfaßt, damit wir darauf bezugnehmend endlich politische Forderungen abstellen können. Das ist allen bekannt, auch der Bundesregierung. Hier bedarf es einer Lösung. Da herrscht Konsens." (in: GamesMarkt 18/2015, Seite 10ff).

So isses! Wird Zeit, dass hier was passiert. Sonst wird's langsam lächerlich!

Harald Hesse

GamesMarkt

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