Hidden Champion Popcore: Vom Ad-Business zu Hyper-Casual Games
Mehr als 500 Millionen Gaming-App-Installationen seit 2018 sind das Aushängeschild von Popcore aus Berlin. Die Gründer Johannes und Thomas Heinze sprachen mit GamesMarkt über Schnelligkeit für Hyper-Casual Games, Datenfokus und was es bedeutet, eine europäische Company zu sein.
Popcore ist das zweite Unternehmen, das Johannes und Thomas Heinze gemeinsam gegründet haben. Beide haben einen wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund und arbeiten seit zehn Jahren zusammen, wobei die Erfolgsgeschichte des Hidden Champions aus Berlin mit den vorherigen Projekten der Heinze-Brüder direkt verknüpft ist. Es geht zurück ins Jahr 2012 mit Moboqo. "Wir beide kommen aus dem Adtech-Bereich und waren schon immer fasziniert davon, wie man das Ad-Business skalieren, verändern und ausbauen kann", so die Geschäftsführer von Popcore rückblickend. "Mit unserem ersten gemeinsamen Unternehmen Moboqo haben wir 2012 begonnen, uns auf die Monetarisierung von Mobile Games durch Werbung in einem internationalen Umfeld zu fokussieren. 2014 wurde Moboqo vom US-amerikanischen Unternehmen Applovin übernommen." Danach hatten sie das "Glück", wie sie es selbst nennen, mit fast allen erfolgreichen Mobile-Gaming-Unternehmen zusammenarbeiten zu können. Dadurch konnten sie sehr viel über die Besonderheiten und die Eigenarten des Marktes lernen. "Zwischen 2015 und 2016 haben die ersten Entwickler damit angefangen, Spiele direkt für das Ad-Ecosystem zu bauen. Wir haben diese Beobachtungen zusammengefasst und begonnen, diese Spiele ab 2017 als 'Hyper-Casual Games' zu bezeichnen. Für uns war in diesem Zusammenhang vor allem interessant, wie man den Prozess der Validierung von Spielideen durch Ad-Plattformen optimieren, skalieren und ausbauen kann. Wir haben hier eine große Chance gesehen, die Spieleentwicklung von Mobile Games anders aufzusetzen und effizienter und erfolgsorientierter auszurichten", erklären die Heinze-Brüder gegenüber GamesMarkt.
Nicht nur die aufkommenden Hyper-Casual Games gaben Ausschlag stärker in den Spiele-Bereich zu wechseln, sondern auch die einfacher gewordenen Möglichkeiten, Spiele-Apps auf Basis vorhandener Engines und Tools zu erstellen. "Da es durch Unity sehr einfach geworden ist, einen Spiele-Prototyp zu entwickeln, dann darauf aufbauend Promo-Videos zu diesem Spiel zu generieren und diese dann auf zum Beispiel Facebook zu testen, haben wir uns 2018 entschlossen, Popcore mit genau diesem Ad- und Daten-orientierten Ansatz zu gründen, um für neuen Wind und Innovation in dem Bereich zu sorgen." Geschwindigkeit ist entscheidend. Popcore hat sich auf die Fahne geschrieben, Spiele mit Prototyping-Methoden rasant zu entwickeln, datenbasiert zu evaluieren und möglichst unverzüglich auf den Markt zu bringen - alles inhouse entwickelt, mit kleinen und vollintegrierten Teams, die zwischen zwei und zehn Leute groß sein können. Je nach Potenzial des Vorhabens können neue Leute funktionsübergreifend hinzugezogen werden, ohne dass die Entscheidungswege zu lang werden. Die Agilität kleiner Teams schreibt Popcore bei der Projektentwicklung groß. Alles steht und fällt mit der Spielidee und der datengetriebenen Evaluation der Markttauglichkeit. Im Laufe des Interviews fiel der Begriff "rapid" nahezu in jeder Kombination in Hinblick auf die Entwicklung. Sogar das Tempo der Fehlschläge ist wichtig: "Wir sind erfolgreich, wenn wir schnell scheitern. Wir nutzen Daten und Technologien, um schnell Ideen zu entwickeln und ständig zu innovieren", ist der Company-Website zu entnehmen.
Erste Erfolge und Prozessentwicklung
"Connect the Pops" kann als erster erfolgreicher Titel des Unternehmens bezeichnet werden. "Für uns stand allerdings unser Prozess der Spieleentwicklung von Anfang an im Mittelpunkt. Wie können wir durch Ad-Plattformen Spielideen validieren und schnellstmöglich potentielle Marktgröße und User-Engagement quantifizieren und darauf aufbauend weitere Entwicklungsentscheidungen treffen", fragen die Geschäftsführer. "Wichtiger als der Erfolg des ersten Spiels an sich war aber die Erkenntnis, dass unser Ansatz und der Prozess dahinter wirklich funktionierte und erfolgreich war und damit als Proof of Concept für alle weiterführenden Schritte diente."
Zunächst stand der Prozess an sich im Vordergrund. Sie mussten selbst lernen, wie Spiele im Hyper-Casual-Games-Segment realisiert werden können und was überhaupt angenommen wird, bevor es an die Testprozeduren und die Marktforschung geht: "Wie wir mit Prototypen die Marktgröße validieren und durch Testen und Experimentieren die Spiele identifizieren, die im Markt am erfolgreichsten positioniert werden können." Ihr Spiel "Sandwich" war der erste große Durchbruch. Zwischen dem Launch des Prototypen und 20 Millionen Downloads lag nicht einmal ein Monat. "Wir waren kurzzeitig die meist gedownloadete App in den USA. Für uns ein weiterer Meilenstein und ein weiterer Indikator, dass unser Prozess funktioniert. Durch unsere Hyper-Casual Games haben wir zudem erkannt, dass wir das Potential von Free-to-Play-Spielen, Spiele als einen Service zu verstehen und weiter auszubauen nicht nutzen. Wir haben dann damit begonnen, langfristiger in unsere Spiele zu investieren, ohne allerdings unseren Entwicklungsprozess zu verändern, sondern diesen nun auch bei Features zu implementieren. "Pull the Pin" und vor allem "Parking Jam" waren und sind in diesem zweiten Schritt für uns sehr erfolgreich gewesen, und haben uns gezeigt, dass unser Prozess und unsere Ausrichtung für die Zukunft auf dem richtigen Weg ist."
Entscheidend für den rasanten Erfolg des Unternehmens waren ebenso die Investitionen von EQT Ventures, Makers Fund und David Helgason. Wobei die beiden Firmengründer, die zusammen weiterhin 77 Prozent der Popcore-Anteile halten, hervorheben, dass die finanziellen Mittel der Investoren zu Beginn zwar wichtig waren, sich aber die Erfahrung der beteiligten Akteure als entscheidender herausstellte. "Viel wichtiger als die Anschubfinanzierung ist die Erfahrung und die beratende Funktion unserer Investoren mit EQT im Lead. Da wir neu in der Gaming-Industrie waren, war das Fachwissen und die Beratung zu Dingen wie dem Markt an sich, Technologie und vielen anderen Punkten unfassbar wichtig und hat uns geholfen, uns schnell zu entwickeln. Auch heute stehen uns unsere Partner und Investoren mit Rat und Tat zur Seite und sind damit ein nicht wegzudenkendes Asset für Popcore in unserer stetigen Weiterentwicklung."
Über 130 Mitarbeiter:innen in Europa
Für Popcore kommt es also darauf an, schnell ein Konzept zu finden, das möglichst zugänglich ist, bei den Nutzer:innen auf Interesse stößt und sich als Free-to-Play-Titel mit Werbung als zentrales Monetarisierungmodell vermarkten lässt - bei letzterem schließt sich der Kreis zu Moboqo und Applovin. Die Prämisse, ein möglichst großes Publikum anzusprechen, steckt bereits im Unternehmensnamen: "Pop - wie in Popkultur - macht deutlich, dass wir den Anspruch haben, Spiele für ein sehr breites Publikum zu entwickeln, während Core für Core- beziehungsweise Spiele-Loop steht, also die Essenz unserer Spiele, der Teil, der sich ständig wiederholt und sie dadurch 'Fun and Engaging' macht. Popcore steht natürlich in enger Verbindung zu Popcorn - und das ist auch gewollt. Wir suchen den 'Korn'/Coreloop, der sozusagen am besten 'popped'/skaliert. Zusätzlich ist es natürlich so, dass bei Popcorn immer viele Körner auf einmal konsumiert werden. Hier sehen wir die Parallele zu unserem wachsenden Portfolio an Spielen."
Um mehr Popcorians, also talentierte Mitarbeiterende zu gewinnen, fiel die Standortwahl auf Berlin. Doch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie ließ die Unternehmensführung europäischer denken: "Berlin war vor Corona ein sehr wichtiger Standort, um internationale Talente aus verschiedensten Bereichen anzusprechen. Das hat sich durch Corona allerdings grundlegend verändert. Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass für uns das Skill-Set der Popcorians wichtiger ist als der Umstand, dass sie in Berlin arbeiten können. Dadurch haben wir Zugriff auf einen deutlich größeren Talentpool." Derzeit sieht die Geschäftsführung das Unternehmen vielmehr als europäische Company, die ihren Hauptsitz in Berlin hat. "Wirklich 'europäisch' zu sein, ist zudem ein wichtiger Teil unserer DNA. Wir versuchen die verschiedenen Erfahrungen und auch Eigenschaften und Stärken unserer über 32 vertretenen Nationalitäten zu nutzen, um ein neues Level an Kreativität und Innovation in der mobilen Spieleentwicklung zu erreichen." Die fortschreitende Europäisierung zeigt sich ebenfalls beim Studio Crazy Pops, das die führungserfahrene Ex-King-Mitarbeiterin Delphine Sassi gerade in Spanien für Popcore aufbaut.
Mehr als 500 Millionen Installationen der Spiele
Der Erfolg des Unternehmens lässt sich anhand von Geschäftsberichten und Nutzerzahlen belegen. Das 2018 gegründete Unternehmen schaffte laut einem Medienbericht bei deutsche-startups.de einen Rohertrag in Höhe von 8,2 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2020, eine Steigerung um fast 130 Prozent im Vorjahresvergleich. Der Jahresüberschuss kletterte um 43,5 Prozent auf 1,4 Millionen. Nur im Gründungsjahr stand ein kleines Minus unter dem Strich. Auch die beiden Gründer bekräftigten die Korrektheit der Zahlen gegenüber GamesMarkt. Laut den Mobile-Marktforscher:innen von SensorTower erzielte Popcore allein im Mai 2022 Einkünfte in Höhe von rund 594.000 Euro, davon entfallen knapp 198.000 Euro auf Android. Die Gesamtzahl der App-Downloads im selben Monat betrug 15 Millionen, darunter drei Millionen Downloads auf iOS und zwölf Millionen auf Android. SensorTower trackt 38 iOS-Apps und 36 Android-Apps des Unternehmens. Die App, die im Mai 2022 die höchsten Einnahmen generierte, war "Scavenger Hunt!" mit knapp 396.000 Euro auf iOS und 99.000 Euro auf Android, vor "Parking Jam 3D" mit rund 59.000 Euro (iOS) und 30.000 Euro (Android). Die am häufigsten heruntergeladenen Apps waren "Parking Jam 3D" mit einer Million Downloads auf iOS und vier Millionen auf Android, "Scavenger Hunt!" mit jeweils 800.000 Downloads auf Android & iOS und "Pull the Pin" mit 600.000 Downloads auf Apple-Geräten und sechs Millionen auf Android-Systemen. Trotz eindrucksvoller 6,6 Millionen Downloads waren die Einnahmen von "Pull the Pin" mit circa 18.000 Euro vergleichsweise überschaubar. Aber Obacht: Die Umsatzangaben von SensorTower beinhalten ausschließlich Ingame-Käufe. Einnahmen durch Werbung, die bei Hyper-Casual Games primäre Geldquelle, werden nicht berücksichtigt. Popcore dürfte somit deutlich mehr umsetzen.
Letztlich sehen Johannes und Thomas Heinze noch viel Potenzial für Popcore. Der Mobile-Gaming-Markt ist ihrer Ansicht nach riesig und würde ständig weiter wachsen: "Wir sehen aber auch, dass sich vor allem der Free-to-Play-Markt immer mehr verändert und darauf aufbauend auch die Art und Weise, wie man profitabel und zielorientiert Spiele entwickelt. Die langfristige Entwicklung von Spielen für eine kleine Zielgruppe wird immer unrentabler und dadurch wird unser Prozess deutlich zielführender und Ressourcen-effizienter", so die beiden Gründer, die ihr erfolgreiches Unternehmen weiterentwickeln und weiter wachsen lassen wollen. Mehr Mitarbeitende. Mehr Spiele. Mehr finanzielle Möglichkeiten. "Zusätzlich wollen wir als europäischer Player wahrgenommen werden, der es Talenten aus allen Bereichen ermöglicht, Kreativität voll auszuleben, sich konstant einzubringen, aber auch weiterzuentwickeln und täglich neuen Impact haben zu können", erklären die Geschwister Heinze. Mit über 130 Mitarbeiter:innen, was einer Verdreifachung seit 2020 entspricht, über einer halben Milliarde Downloads und dem Kunststück, dass sie trotz Venture-Capital-Finanzierung profitabel und aus eigenen Mitteln herausgewachsen sind, hat das Berliner Unternehmen eine überaus sichere Basis, um in den nächsten Jahren weitere große Schritte zu gehen - nur schnell muss es sein.
Marcel Kleffmann
Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel über Popcore erschien ursprünglich in der GamesMarkt-Ausgabe 08/2022, in der ebenfalls noch ein Kurzüberblick über den Hyper-Casual-Games-Markt enthalten ist.