Kersting: "Crunch? Es geht auch ohne!"
Gehören Crunch-Zeiten mit vielen Überstunden einfach zur Spieleentwicklung dazu? Nein, sagt Klaas Kersting, der Gründer von Gameforge und flaregames. Es ist schlicht wirtschaftlich nicht sinnvoll, die Zufriedenheit und Gesundheit der eigenen Mitarbeiter aufs Spiel zu setzen - im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Gastbeitrag von Klaas Kersting zur laufenden Debatte.
Wir haben mal wieder einen kleinen Industrie-Aufreger, es geht um Crunch, um dauerhaft abgeleistete und unbezahlte Überstunden. Es begann harmlos mit einem Artikel auf Venturebeat, dann gab es als Replik einen fiesen kleinen Artikel von Alex St. John, dem Ex-CEO von Wild Tangent. Alex bezichtigte Entwickler, die Crunch ablehnen und auf normalen Arbeitszeiten bestehen, einer "Lohnsklaven-Attitüde" und stellt demgegenüber das Ideal eines Künstlers oder Unternehmers, getrieben vom Willen, Großes zu schaffen. Dann gab's wiederum ein paar Antworten, die bekannteste von Rami vom Indie-Developer Vlambeer. (, Anm.d.R.)
Soviel zur Vorgeschichte.
Crunch hat die Industrie seit ihren Anfängen begleitet; viele Leute, gerade im Management setzen das als normal oder notwendig voraus. Dabei kann es ja nicht industrieintrinsisch sein: Crunch ist nicht gottgegeben, sondern eine Methode, um zu einem notwendigen Zeitpunkt mehr Arbeitskraft in ein Projekt zu bekommen, ohne die Mannschaft aufzustocken. Quasi ein Turbolader. Und so wie ein Rennwagen mit Turbolader mehr Sprit verbraucht, verbraucht ein Team im Crunch auch zusätzliche Ressourcen, akkumuliert Ausgleichstunden und Ausgleichszahlungen. Theoretisch jedenfalls, praktisch ist es oft so, dass die Überstunden einfach nicht bezahlt und nicht ausgeglichen werden, was natürlich illegal ist, auch in Amerika. Dann ist es, wie manche deutschen Führungskräfte sagen, ein "Wettbewerbsvorteil".
Die Lage ist von Unternehmen zu Unternehmen, von Projekt zu Projekt anders, aber mir erscheint es so, dass das zuweilen so funktioniert, wie bei Krankenhaus-Chirurgen, wo jeder das System mit all den Bereitschaftszeiten und der Belastung kritisiert, aber die Führungskräfte das System stützen, weil sie ja selber auch durch die harte Zeit gegangen sind, ehe sie Oberärzte wurden und nicht recht verstehen, warum eine neue Generation da keine Lust mehr drauf hat. Wenn man Crunch als gottgegeben nimmt und immer als Puffer einkalkuliert, wird man ihn auch einsetzen - so funktionieren Menschen.
Ich denke, dass es gut möglich ist, ohne Crunch auszukommen, wenn man das WILL. Grundsätzlich ist es ein Teil verantwortlicher Planung und Kalkulation, die Arbeitskraft der Mitarbeiter zu normalen Konditionen in die Rechnung einfließen zu lassen. Bei den beiden von mir gegründeten Firmen, Gameforge und flaregames, wurde nie auch nur ein Tag gecruncht. Wir machen sicher nicht alles richtig, aber qualifizierte Mitarbeiter sind eine knappe Ressource, uns liegt viel daran, bunt besetzte Teams zu haben, vom frisch abgeschlossen Studenten bis zur in Teilzeit arbeitenden Mutter.
Auch bei den anderen Unternehmen im Free-to-Play-Markt, die keine langen Traditionen in der Games-Welt haben, sondern eher der Web- oder Tech-Welt entstammen, gibt es in der Regel keinen Crunch. Ob das Bigpoint, Innogames oder Goodgames ist, ob man Supercell oder Wooga oder King anschaut: überall harte Planung, strikte Anforderungen, aber eben null Crunch. Klar hat nicht jeder Arbeitstag acht Stunden, und klar gibt es auch Zeiten, in denen mehr getan werden muss, um Termine zu schaffen. Aber Mehrleistung wird ausgeglichen und nicht dauerhaft angeordnet oder als Normalzustand akzeptiert.
Wer Spiele nicht als Einzelprojekte, die eben schief gehen oder nicht, sieht, sondern Substanz mit langlaufenden Titeln im Games-as-a-Service-Modell schaffen will, kommt nicht umhin, das Know-How lange im Haus zu halten. Es ist schlicht wirtschaftlich sinnvoll, in die langfristige Bindung und Zufriedenheit der Kollegen zu investieren. Mitarbeiter, die regelhaft lange Crunch-Phasen durchstehen, haben ein höheres Risiko, auszubrennen, verlieren an Motivation und kündigen möglicherweise. Das gilt vielleicht nicht für Leads oder Menschen, die sich im Projekt explizit verwirklichen können, aber für einen Großteil der Leute ist es eben, bei allem Fun, ein Job. Und daran ist ja auch nichts falsch.
Gute Mitarbeiter sind da wie Kunden: so teuer zu beschaffen, dass hoher Churn nicht wirtschaftlich ist.
Klaas Kersting
Über den Autor
Klaas Kersting gründete die Spieleentwickler Gameforge und flaregames in Karlsruhe. Er kennt also die Arbeit in großen Studios mit über 400 Mitarbeitern ebenso wie Start-ups mit nur einer Handvoll Kollegen.