Im GamesMarkt-Editorial "Nachschlag" kommentiert ein GamesMarkt-Redakteur ein aktuelles Ereignis oder Thema, das die Branche umtreibt oder bewegt. Diesmal befasst sich Daniel Raumer mit einem bemerkenswerten Versuch von Microsoft, den Abstand seiner aktuellen Konsole zu der des Mitbewerbers zu erklären.

Über 22 Millionen PlayStation-4-Konsolen hat Sony weltweit mittlerweile ausgeliefert. Mit diesen Zahlen aus der Bilanz verbuchen die Japaner auch entsprechende Umsätze: Um ein Drittel ist das Gamesgeschäft von Sony gewachsen. Lediglich der schleppende Absatz von Vita und Vita TV verhindern ein noch besseres Ergebnis. Ganz anders die Situation im Konsolenlager von Microsoft: Die letzten offiziellen Verkaufszahlen der Xbox One stammen vom November 2014, als man zehn Millionen Geräte ausgeliefert haben wollte. Im Bilanzbericht werden die Absatzzahlen mittlerweile mit der Xbox 360 zusammengezählt - um sie zu verschleiern. In der Summe schrumpfte die Sparte der Redmonder um ein Viertel. Während die PS4 also weiter wie warme Semmeln über die Ladentheke geht, dümpelt die Xbox One im Handel nur noch dahin.

Das ist natürlich auch der Presseabteilung von Microsoft nicht entgangen, wo man sich mittlerweile auf eine recht interessante Strategie geeinigt zu haben scheint, wer schuld am schlechten Abschneiden der Xbox One sei. Die Konsole habe ja nie eine ernsthafte Chance gehabt, denn vor allem die Presse und eine winzige Gruppe lautstarker, fortschrittsfeindlicher User im Netz hätten das Gerät von Anfang an "kaputtgeschrieben". Die vermeintliche Vision, die man bei Microsoft für die Xbox One hatte, hätte nie eine Chance gehabt, sich zu bewähren. Eine bemerkenswerte Umdeutung der Historie. Um die Schuld nicht bei sich selbst suchen zu müssen, so habe ich das Gefühl, konstruiert man sich seine eigene kleine Dolchstoßlegende. Das Wort beschreibt die Verschwörungstheorie der deutschen Militärführung nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Das ruhmreiche deutsche Heer sei an der Front vom Feind nicht besiegt, aber letztlich von politischen und unpatriotischen Umtrieben aus der Heimat hinterrücks "erdolcht" worden.

Bei Microsoft scheint man ernsthaft zu glauben, die überkritische Presse und ein paar lautstarke Foristen hätten die Xbox One "erdolcht". So direkt sagt das natürlich niemand, aber in persönlichen Gesprächen und in sozialen Netzwerken manifestiert sich diese Sichtweise sehr deutlich. Sie ist freilich bequem, denn so muss man nicht der Tatsache ins Auge sehen, dass man die Vision der Xbox One nie klar skizziert hat - übrigens bis heute nicht. Statt Zuckerbrot und Peitsche präsentierte man den verdutzten Kunden ausschließlich einen ganzen Strauß aus Peitschen, mit Lowlights wie Online- und Kinect-Pflicht oder gigantischen Festplatteninstallationen. Aus der Industrie gab's dafür sicherlich viel Applaus, aber den Endkunden hatte man in dieser Gleichung schlicht nicht vorgesehen.

Die Quittung gab's sofort im Anschluss - und gibt es bis heute. Die Käufer liefen in Scharen zur Konkurrenz und sorgten dafür, dass die PS4 selbst Monate nach Verkaufsstart noch überall vergriffen war. Dabei hatte auch Sony ein paar Peitschen in der Hand, die man aber geschickt mit Zuckerbrot zu kaschieren wusste. Kostenpflichtiger Multiplayer via PSN, zu Beginn keine Kompatibilität mit 3D-Blu-ray oder laute Lüfter. Auch das Live-Streaming oder Features wie der Suspend-Modus waren zum Marktstart weit von dem entfernt, was man bei Sony versprochen hatte. Gestört hat's kaum jemanden, das Next-Gen-Zuckerbrot schmeckte doch zu süß. Und tut es bis heute, wie die sensationellen Verkaufszahlen zeigen. Bei Microsoft hingegen wäre man gut beraten, in sich zu gehen, die eigenen Fehler zu analysieren, denn nur dann kann man aus ihnen lernen. Mit Schuldzuweisungen und der Mär vom Dolchstoß wohl nicht.

Daniel Raumer,Redakteur GamesMarkt

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