Dr. Philipp Busch ist Keynote-Speaker der GamifyCon am 12. November. Im Interview mit dem GamesMarkt gibt er schon jetzt einen Einblick in das Thema Gamification.

Bereits zum vierten Mal findet die GamifyCon in München statt und am 12. November dreht sich alles um das Thema Gamification. Von 13 bis 20 Uhr werden Themen in den Bereichen Serious Games, Gamification, Branded Games und Game Based Learning diskutiert, Berührungspunkte erarbeitet und Synergien hergestellt. Die Keynote wird Dr. Philipp Busch von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unter dem Titel "Gamification - eine Sternschnuppe am Buzzword-Himmel?" halten. Außerdem spricht Philip Dziubalksi vom Bundeswehr Cyber Innovation Hub über das Projekt "Cyber Missione - Befehlsrecht spielerisch lernen" und Maxim Karl, General Manager von Gamify now, hält einen Vortrag zu "Die Effektivität von Branded Games". Dr. Busch hat dem GamesMarkt schon vorab ein paar Fragen über Gamification beantwortet.

GamesMarkt: Was macht Gamification mit unserer Psyche? Warum brauchen Menschen einen spielerischen Ansatz um etwa sensible Themen besser Verarbeiten zu können?

Dr. Philipp Busch: Gamification nutzt die Erkenntnisse und die langjährige Erfahrung der Spielebranche. Welche Spielmechanismen funktionieren gut und warum sind manche Spiele besonders erfolgreich? Spiele haben in der Regel eine freiwillige Teilnahme und müssen Spaß machen, um gespielt zu werden. Gamification ist angewandte Psychologie und versucht, funktionierende Mechanismen aus den Spielen zu extrahieren und in eine spielfremde Umgebung zu integrieren. Spaß ist dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor und ist in diesem Kontext die richtige Kombination aus extrinsischer und intrinsischer Motivation. Die ausgewählten Spielelemente sollen dazu führen, dass der Spieler zu gewissen Aktivitäten motiviert wird. Erfolgreiche Gamification beruht nicht auf der puren Anzahl von Spielelementen, sondern auf der richtigen Komposition der Elemente für den entsprechenden Kontext. Bei sensiblen Themen wie beispielsweise sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist es besonders herausfordernd, ein funktionierendes gamifiziertes System zu schaffen. Hat ein Spieler jedoch das System akzeptiert, befindet er sich in einer geschützten Umgebung, in welcher viel offener mit Problemen umgegangen wird - wir nennen dies den "Magic Circle". Hierarchiegrenzen verschwimmen und ein eigenes Regel- und Normensystem führt dazu, sich freier mit sensiblen Themen auseinanderzusetzen. Diese Erkenntnisse können dann in den realen Kontext übertragen werden.

In welchen Bereichen wird Gamification am Häufigsten angewendet und warum?

Gamification wird sehr häufig in den Bereichen Marketing, UX-Design und in Lernszenarien angewendet. Die Gründe für das Marketing liegen auf der Hand - Gamification bietet die Möglichkeit, Kunden zu gewissen Aktivitäten zu motivieren und sogar eine gewisse Markenloyalität zu generieren. Dies ist nicht trivial, jedoch können bei Erfolg die Absätze temporär oder dauerhaft in die Höhe getrieben werden, was die Beispiele von McDonalds Monopoly oder Nike Plus eindrucksvoll demonstrieren. Betrachten wir den Bereich des UX-Designs, erkennt man in jeder erfolgreichen Social Media Plattform Elemente der Gamification. Ob bei Facebook oder LinkedIn, Feedbacksysteme und Fortschrittsbalken sind nur die offensichtlichsten Elemente der Gamification. Schließlich nutzen auch vermehrt unterschiedliche Lernszenarien die Erkenntnisse der letzten Jahre, egal ob es sich um unternehmensinterne Fortbildungen oder Schulen und Universitäten handelt. Lernmaterialien zu gamifizieren ist zwar mit einem gewissen Aufwand verbunden, doch zeigen zahlreiche Studien bessere Lernergebnisse - selbstverständlich nur wenn Gamification richtig implementiert wird. Einige Lernszenarien machen den Fehler, zu tief in die extrinsische Motivationskiste zu greifen, etwa durch den Einsatz von Punkten, Auszeichnungen und Ranglisten, wobei ein negativer Effekt erzielt und die intrinsische Motivation des Lernens zerstört werden kann.

Wann hat man Gamification erfolgreich in Unternehmen eingesetzt und wann nicht?

Es kommt in der Tat immer auf den Kontext des Unternehmens, insbesondere auf dessen Kultur und Image an. Jedes Unternehmen kann Gamification einsetzen, wobei manche explizite, also offensichtliche Gamification nutzen können und andere implizite, also eher versteckte Gamification einsetzen sollten. Entscheidend bei der internen Nutzung ist, dass die Ziele des gamifizierten Projektes keine Kluft zwischen Management und Mitarbeiter aufwerfen. Dies kann schnell dazu führen, dass Gamification als weiteres Monitoring Instrument missbraucht wird und von den Mitarbeitern nicht akzeptiert wird. Wie in jedem Change-Prozess sollte der Mitarbeiter bei der Konzeption integriert und ein System gefunden werden, welches Vorteile für das Management bietet und gleichzeitig den Mitarbeiter fördert sowie Spaß in die tägliche Arbeit integriert. Entscheidend ist also eine nutzerzentrierte Lösung, sodass am Ende alle am gleichen Strang ziehen.

Gibt es kulturelle Unterschiede in der Gamification? Und ist sie schon auf der ganzen Welt oder nur in der industriellen Welt angekommen?

Gamification findet man genau wie Spiele auf der ganzen Welt. Spielen ist ein zentraler Bestandteil jeder Kultur, der Spieleforscher Johan Huizinga beschreibt bereits 1938 in seinem Buch "Homo Ludens" die Wichtigkeit des Spielens für das Menschsein, er beschreibt es als Teil des Lebens im Allgemeinen. Auch Gamification findet überall auf der Welt Anwendung. Interessant ist nun jedoch die kontextuelle Anpassung. Die Grundmotivatoren sind bei fast jedem Menschen existent, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt. Diese werden durch zahlreiche Theorien ausführlich beschrieben, wie etwa durch die klassische Selbstbestimmungstheorie, den Behaviorismus oder den Uses and Gratification-Ansatz der Mediennutzungsforschung. Sie beschreiben, wie und warum der Mensch zu gewissen Aktivitäten stimuliert wird. Spannend ist nun das Hinzufügen der kulturellen Perspektive. Da Spielen ein essentieller Bestandteil der Kultur ist, muss im Sinne der kontextuellen Kombination aus extrinsischen und intrinsischen Motivatoren das gamifizierte System auf die entsprechende Kultur angepasst werden. Es gibt Kulturen, bei welchen ein kompetitiver Ansatz gut funktioniert, was meiner Erfahrung nach beispielsweise im arabischen Raum der Fall ist. Auf der anderen Seite gibt es Kulturen, bei denen kooperative Ansätze besser aufgehoben sind, beispielsweise im südostasiatischen Raum. Dabei muss erwähnt werden, dass die Forschung hier noch in den Kinderschuhen steckt.

Wie weit reicht Gamification eigentlich schon zurück? Es wurde doch schon vor der Digitalisierung und Aufkommen von Computern "spielerisch" Themen verarbeitet, gibt es da einen Anfang?

Den ersten Hinweis auf Gamification finden wir beim Bau der Pyramiden von Gizeh. Dort wurde ein kompetitives System geschaffen, in welchem verschiedene Bauteams gegeneinander antreten. Dass dies vor dem furchtbaren Hintergrund der Sklaverei und Unterdrückung geschehen ist, muss natürlich erwähnt werden. Es ist anzunehmen, dass Gamification so alt ist wie die Kultur, da wie bereits erwähnt das Spiel ein integrativer Bestandteil der Kultur selbst ist. Gamification kann komplett analog, völlig ohne den Einsatz einer digitalen Komponente verwendet werden. Vielleicht haben Sie es schon genutzt, um Ihren Kindern das Gemüse schmackhafter zu machen, vielleicht haben Sie auch ein eigenes Motivationssystem entwickelt, um mehr Sport zu machen, oder Sie sammeln Punkte bei Ihrem Supermarkt? Fast jeder Mensch ist bereits mit Gamification in Berührung gekommen. Die intuitive Nutzung von Gamification ist also nichts Neues. Neu ist jedoch der systematische Einsatz in verschiedenen Anwendungsgebieten und die wissenschaftliche Analyse der Nutzung von Spielelementen im spielfremden Kontext. Der Begriff selbst findet erstmals 2008 Erwähnung in der digitalen Medienindustrie. Digitale Anwendungen bieten sich natürlich für den Einsatz von Gamification an, denn man kann verschiedene Elemente wie direktes positives Feedback durch mediales Design leicht integrieren.

Wie wird uns Gamification in Zukunft noch begleiten?

Gamification ist nach wie vor ein Buzzword, welches von vielen Menschen falsch verstanden wird. Das Problem liegt am Namen - Spiele und ernsthafte Themen sind für viele Unternehmenskulturen nicht vereinbar. Dass es sich jedoch letztlich um angewandte Psychologie handelt, wissen leider die Wenigsten. Wir greifen auf Erfahrungswerte zurück, welche in der Spielebranche über Jahre gesammelt wurden. Es ist anzunehmen, dass zukünftig mehr und mehr Einsatzfelder die systematische Nutzung von Gamification für sich entdecken. Solange die Anwendung mit Menschen zu tun hat, kann Gamification eingesetzt werden. Dabei müssen sich jedoch auch die Nutzer oder Spieler kritisch mit dem Thema auseinandersetzen. Denn letztlich bewegt man sich innerhalb eines Systems, welches von einer anderen Person kreiert wurde. Man wird für gewisse Aktivitäten belohnt oder bestraft, man hat Möglichkeiten der sozialen Interaktion und der Selbstentfaltung, alles jedoch in dem Rahmen der von dem Systementwickler vorgegeben wird. So kann es passieren, dass eine subjektive Wahrnehmung der Aktivitätenfreiheit verzerrt ist und de facto eine Manipulation der Zielgruppe durch den Systementwickler vorgenommen wird. Auf der anderen Seite bietet Gamification zahlreiche, meiner Meinung nach positiv zu bewertende Anwendungsfelder. Ob für eine gesunde Ernährung, effizienteres Lernen, crowd sourcing in der Wissenschaft oder bei Problemlösungsansätzen für die Klimapolitik - es gibt eine Menge Themen, für die es Sinn macht Menschen zu motivieren.

Sie promovierten über das Thema "Spielerische Ansätze in der Internationalen Zusammenarbeit" - um was geht es hier konkret? Was für einen Stellenwert hat Gamification für Internationale Zusammenarbeit?

Der Einsatz von Gamification in der Internationalen Zusammenarbeit oder Entwicklungszusammenarbeit ist für mich persönlich faszinierend. Die Chancen, die sich in diesem Handlungsfeld eröffnen, sind riesig. Dabei steht immer der Mensch im Mittelpunkt des Designs, um eine erfolgreiche und nachhaltige Lösung zu erreichen. Ich hatte die Möglichkeit, meine Dissertation bei der Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH zu verfassen. Natürlich war der Anfang schwer, denn öffentliche Gelder und spielerische Ansätze in Verbindung zu bringen, erfordert einiges an Überzeugungsarbeit sowie handfeste Resultate. Glücklicherweise hatte ich jedoch außerordentliche Unterstützung von meinen Vorgesetzten und Kollegen, sodass die gamifizierten Projekte von Mal zu Mal größer wurden. Wir fingen an mit der Gamifizierung von digitalen Lerninhalten und Workshops und sind mittlerweile bei der Verwendung spielerischer Ansätze zur Friedensunterstützung im Jemen. An dieser fünfjährigen Entwicklung erkennt man, dass Gamification innerhalb der Internationalen Zusammenarbeit zunehmend mehr Aufmerksamkeit und Akzeptanz erlangt hat. Dennoch ist Gamification nicht der Heilige Gral, der für jede globale Problemstellung die optimale Lösung liefert. Man muss genau überlegen, in welchen Anwendungsgebieten ein Mehrwert erreicht werden kann, um dann ein ausgereiftes, nutzerzentriertes System zu schaffen, welches als flankierende Maßnahme mit dem traditionellen Methodenportfolio harmoniert. Gerade vor dem Hintergrund der weltweiten Digitalisierung und dem Fokus auf länderübergreifende Maßnahmen bietet Gamification großartige Möglichkeiten, die Internationale Zusammenarbeit effizienter und zielgerichteter zu gestalten.

Aufgrund des Attentats in Halle sind nun wieder alle Augen auf die Gamesbranche gerichtet. Wie gerechtfertigt finden Sie die Anschuldigungen, die Gamesbranche sei zum Teil daran schuld auch in Hinblick auf Gamification?

Bei dem Attentat in Halle handelt es sich um eine schreckliche Tragödie. Dennoch muss man den Einfluss der Gamesbranche differenzierter betrachten. Es wäre falsch, einen simplen Ursache-Wirkung Zusammenhang zu deklarieren. Man wird nicht zum Gewaltverbrecher, nur weil man ein Ego-Shooter-Spiel gespielt hat. Im Hinblick auf Gamification sollte bedacht werden, dass dies ein machtvolles Instrument sein kann, welches für positive oder negative Ziele eingesetzt werden kann. Vergleichen wir es mit einem Hammer. Man kann ihn benutzen, um ein schönes Bild an die Wand zu hängen, aber auch um eine Person anzugreifen. Wir würden bei diesem Beispiel jedoch nicht die Schuld des Angriffs bei dem Hersteller des Hammers suchen. Ebenfalls wäre es nicht reflektiert genug, die Ursache eines antisemitischen Verbrechens ausschließlich in der Spieleindustrie zu suchen. Dennoch sollten wir aufpassen, in welche Richtung sich die Spielebranche entwickelt. Durch Spiele lernen wir. Kriegssimulationen mit dem Ziel, die Spieler für einen realen Krieg zu trainieren, sind höchst kritisch zu betrachten. Eine Art Flugzeugsimulator für den Krieg - das Spiel der amerikanischen Regierung Americas Army macht genau dies, mit dem Ziel neue Rekruten zu gewinnen. Wenn wir nun noch die Möglichkeiten der Virtual Reality einbeziehen, wird die Simulation immer realistischer und die Immersion immer größer. Eine Entwicklung, die in diesem Kontext beunruhigend ist. Auf der anderen Seite bedeutet dies nicht, dass nur weil eine Person gewisse Fertigkeiten in einer Simulation erlernt hat, sie diese auch in der echten Welt einsetzen möchte. Die Motivation eines solchen Gewaltverbrechens ist eine andere, und es wäre falsch die wahre Ursache des Problems in der Gamesbranche zu suchen.

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