Beim Übergang vom Killerspiel zum förderwürdigen Kulturmedium leistete der Verein Videospielkultur (VSK) für das Image von Games wichtige, womöglich entscheidende Pionierarbeit, baute Brücken und öffnete Türen. Heute sitzt der Verein statt in der langjährigen Bleibe im Werk1 bildlich gesprochen auf der Straße, auch weil von der damaligen Dynamik der bayerischen Gamespolitik nicht mehr viel übrig ist.

In München steht ein Hofbräuhaus. Seit 2013 steht in München im Werksviertel aber auch das Werk1, ein Accelerator- und Co-Working-Space für die digitale Start-up-Szene der Stadt. Der "Start-up-freundlichste Ort Münchens", wie sich das Werk1 selbst rühmt, kultiviert zehn Jahre nach Eröffnung mit dem Millionen-schweren Erweiterungsbau Werk1.4 neben dem Co-Working auch das Co-Living und kann eine Reihe interessanter Firmen als Mieter:innen vorweisen. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Start-up-affinen Branchen, nur nicht aus der Gamesbranche.

Doch das war einmal anders. Die Gamesbranche war einst Grundstein für das Werk1. "Über einen Kontakt in der Computerspiel-Entwickler-Szene in München bin ich auf Werner Eckart und die Kultfabrik gekommen. Ich wusste sofort, dieses Gebäude ist es", zitiert das Werk1 Franz Glatz. Das Interview mit dem ersten Geschäftsführer des Werk1 wurde anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Projekts Mitte 2023 geführt. Glatz hatte damals das von Leo Kirch initiierte Medien-Gründerzentrum b-neun, das von Umlandgemeinden aus dem Speckgürtel Münchens getragen wurde, von Unterföhring in die Landeshauptstadt umgezogen und in die Werk1 GmbH umgewandelt. Die ersten beiden Jahre habe man sich vor allem auf die Gamesbranche fokussiert, sagt Glatz weiter. Mit dem ersten Insurtech-Accelerator 2016 sei der Fokus erweitert worden. Ab diesem Zeitpunkt wurden Gamesfirmen für das Werk1 immer unwichtiger und umgekehrt. Nach und nach zogen die ansässigen Studios turnusgemäß aus. Doch in die frei werdenden Büros zogen Fintech- und andere Start-ups ein, keine Spiele-Devs.

Trotzdem war das Werk1 noch lange mit der Gamesbranche verbunden. Das hatte zwei Gründe: Games/Bavaria und VSK. Der 2006 gegründete Verein Videospielkultur e.V., kurz VSK, war viele Jahre ein integraler Bestandteil des Werk1. Als gemeinnütziger Verein veranstaltete der VSK regelmäßig Events im Eventbereich des Werk1, begrüßte namhafte Politiker:innen und war stets ein Ort der Begegnung. Dass der Verein in den vergangenen zehn Jahren relativ geräuschlos arbeiten konnte, ist Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil der VSK damit ein Stück weit aus dem Fokus der Branche geriet, Segen, weil der Verein ganz offenkundig ganze Arbeit geleistet hatte, um seine Ziele zu erreichen.

Denn was in Vergessenheit geraten ist: Der VSK hat maßgeblich zur Annäherung von Branche und Politik beigetragen. Gegründet wurde der VSK 2006, während und zumindest teilweise als Folge der "Killerspieldebatte". Er hatte von Beginn an das Ziel, sich für die Anerkennung von Videospielen als wertvolles Kulturgut auf politischer, akademischer und gesellschaftlicher Ebene einzusetzen. Auch wenn die Töne damals ohnehin gemäßigter wurden, der VSK trug entscheidend dazu bei, dass sich die bayerische Politik in Sachen Games vom Saulus zum Paulus wandelte.

Staatsminister Sinner (l.), Barbara Schardt (Cluster audiovisuelle Medien) und Hendrik Lesser (Videospielkultur e.V.) im April 2008 (Archivbild)

Ein entscheidender Moment war eine Veranstaltung, die gemeinsam vom inzwischen aufgelösten Cluster Audiovisuelle Medien (CAM) und dem VSK organisiert wurde. Der damalige Medienminister Eberhard Sinner traf sich dort mit Vertreter:innen von Firmen wie Brainmonster Studios, Chimera und upjers. Nach diesem Treffen stand für Sinner fest, dass eine öffentliche Diskussion über die positiven Aspekte des Spielens notwendig sei. Keine vier Wochen später unterstrich dann ausgerechnet der damalige Ministerpräsident Günther Beckstein, der als Innenminister noch den Begriff "Killerspiel" maßgeblich in den Medien platzierte, bei der Eröffnung der Fachkonferenz Munich Gaming die immense Bedeutung der Spielebranche für den Medienstandort München und das Land Bayern. "Games sind natürlich Kultur und können auch Kunst sein", so Beckstein. Eine sensationelle Aussage und ein Game-Changer.

Nach Becksteins Worten und mit Sinner auf Seiten der Branche ging es voran. Sinner holte den Deutschen Computerspielpreis im Wechsel mit Berlin nach München. Sinner initiierte auch die bayerische Gamesförderung, setzte das Budget im Doppelhaushalt durch und ließ die erste Förderrichtlinie für Games erarbeiten. Schlussendlich war es auch Sinner zu verdanken, dass ausgerechnet die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag zum ersten parlamentarischen Spieleabend in das Maximilianeum lud. Unterstützt wurde das Projekt vom CAM und - natürlich - vom VSK. Es war der erste Spieleabend in einem deutschen Parlament, "der sich nicht mit dem traditionellen bayerischen Spiel 'Schafkopf' beschäftigt", schrieb der Medienminister damals in einem Beitrag auf Gamesmarkt.de. Im gleichen Beitrag kritisierte er auch die Medienberichterstattung im Vorfeld, in der noch von "Killerspielen im Bayerischen Landtag" zu lesen war. Und er gab das Motto "Fördern statt Verbieten" als Ziel der bayerischen Medienpolitik aus.

Dr. Wolf-Dieter Ring, Ministerpräsident Dr. Günther Beckstein und Christopher Tusch bei Munich Gaming 2008 (Archivbild)

Der VSK hat, wie man anerkennen muss, das Eis zwischen der bayerischen Politik und der Gamesbranche gebrochen. Und nicht nur dort. Sinner, das CAM und der VSK holten für den parlamentarischen Spieleabend im Bayerischen Landtag auch die beiden Verbände aus Berlin an Bord, den BIU und den G.A.M.E.. Drei Jahre später unterstützte der BIU dann wiederum junge Politiker:innen bei der Organisation der ersten "Politiker-LAN" im Deutschen Bundestag. Das Event war eindeutig vom bayerischen Parlamentsspieleabend inspiriert. Zwei der drei Organisator:innen der Politiker-LAN, namentlich Dorothee Bär und Jimmy Schulz, kamen zudem aus Bayern. Dass die Politiker-LAN, die 2013 ein zweites Mal stattfand, maßgeblich zur Verbesserung des Verständnisses der Bundespolitik für das Medium Games beitrug, ist ebenfalls unumstritten.

Doch wie schon beschrieben: Je mehr sich das Verhältnis zwischen Branche und Politik normalisierte, desto ruhiger wurde es um den VSK. Doch das bedeutete nicht, dass der Verein untätig war. Laut dem heutigen Vorsitzenden und einstigen Mitinitiator Hendrik Lesser führte der Verein im Lauf der Jahre hunderte Veranstaltungen im Werk1 wie die Games Lounge durch, die von Ehrenamtlichen wie Oliver Reynolds organisiert wurden. Im Werk1 baute der VSK zudem das Videospielarchiv auf, das nach einer Spende der GameStar 11.000 Videospiele, über 50 Spielkonsolen und mehrere hundert Computer- und Videospielzeitschriften aus über 50 Jahren Videospielgeschichte umfasst. Lange Zeit war das VSK-Archiv neben dem Computerspielemuseum und dem USK-Archiv eine der umfangreichsten Gamessammlungen in Deutschland.

Die vom Palamentarischen Spieleabend inspirierte Politiker LAN gab reichlich Gelegenheit zum Dialog. Hier Justizministerin a. D. Brigitte Zypries im Gespräch mit Karsten Lehmann (Archivbild)

Aus heutiger Sicht ist das bemerkenswert, denn bekanntlich entsteht unter anderem aus der Zusammenlegung des USK-Archivs und des Computerspielmuseums die Internationale Computerspielsammlung, die in das in Berlin als Leuchtturm geplante "House of Games" ziehen soll, wo es Platz für Start-ups und Co-Working geben soll. Die Kombination aus Werk1 und VSK könnte man also getrost als eine Art Prototyp für das "House of Games" bezeichnen, mit dem sich Berlin nach eigenen Bekunden zum führenden Gamesstandort Deutschlands aufschwingen will.

Es ist erstaunlich, dass sich Bayern die Butter so hat vom Brot nehmen lassen. Schließlich hatte Bayern einst die finanziell und dank der ersten von der EU ratifizieren Richtlinie auch konzeptionell führende Gamesförderung in Deutschland. Doch statt an der Spitze rangiert Bayern heute allenfalls auf dem vierten Rang der Gamesstandorte in Deutschland, wie das Branchenbarometer des game belegt. 2021 hatten die Mitgliedsfirmen Bayern noch als den attraktivsten Gaming-Standort Deutschland bezeichnet. Bei der letzten Befragung im Januar 2023 war nicht nur der neue Spitzenreiter NRW an Bayern vorbeigezogen, sondern auch Berlin und Hamburg.

Angesichts der Entwicklung im Standort-Ranking könnte man durchaus sagen, dass der VSK - indirekt - einmal mehr Spiegel der bayerischen Gamespolitik ist. Denn auch der VSK hat einen schweren Stand. Er musste samt Archiv die Räumlichkeiten im Werk1 verlassen, und zwar alles andere als freiwillig. Laut Lesser schwelte schon länger eine Meinungsverschiedenheit, zwischen der Werk1-Betreibergesellschaft und dem VSK. Das Werk1 wollte laut Lesser nicht hinnehmen, dass der VSK kostenfrei in der Immobilie logierte.

Dass die Kündigung zwei Tage vor Weihnachten im ersten Corona-Jahr ins Haus flatterte, ärgert Lesser bis heute. Zumal der VSK unter anderem dafür kritisiert wurde, keine Events mehr durchzuführen, was während der Pandemie schlicht verboten war. Ohnehin war er überzeugt, dass die Kündigung unrechtmäßig war. Laut Lesser bestand eine Vereinbarung, wonach der Verein so lange mietfrei im Werk1 bleiben darf, wie der Freistaat Bayern die Initiative Games/Bavaria unterstützt. Die saß viele Jahre ebenfalls im Werk1, zog jedoch aus, nachdem das Digitalministerium die Initiative der Medien.Bayern GmbH zugeordnet hatte.

Hendrik Lesser wollte für den VSK sogar bis zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe gehen, doch die Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen

Laut Lesser kam es vor Gericht dann zu Fehlinterpretationen des Richters und zu Fehlern seitens des VSK und dessen Anwalt. Statt einem missverstandenen Sachverhalt sofort zu widersprechen oder den Richter, der laut Lesser den Verein abwertend kommentierte, sofort wegen Befangenheit abzulehnen, ließ man das Verfahren laufen und verlor schlussendlich.

Für die zweite Instanz hatte sich Lesser, der kein Problem hat, in die Rolle des Enfant Terrible zu schlüpfen und anzuecken, besser vorbereitet. Er habe sogar Minister und andere hochrangige Politiker als Zeugen vorladen wollen, erzählt der RCP-Geschäftsführer gegenüber GamesMarkt. Womöglich wollte er damit aber zu viel. Die Berufung wurde abgewiesen. Als letzter Ausweg bliebt nur eine Verfassungsbeschwerde, die der VSK auch einreichte. Doch auch die wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht angenommen. Damit waren alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft.

Der VSK bleib mitsamt des Archivs bis zur Räumungsklage im Werk1, auch, weil man auf eine politische Lösung hoffte. Die hätte aber von Judith Gerlachs Digitalministerium, das für die Gamespolitik und damit Games/Bavaria zuständig ist, und dem bayerischen Wirtschaftsministerium, welches das Werk1 finanziert, gefunden werden müssen. Doch das Wirtschaftsministerium wird bekanntlich von Hubert Aiwanger geführt, dem Chef der Freien Wähler. Und die sind in Sachen Games noch eher in der Zeit verhaftet vor dem wegweisenden Spieleabend im Bayerischen Landtag. Es bleibt also nur zu hoffen, dass der Verein mitsamt des Archivs, das sich derzeit im Lager eines IT-Dienstleisters für Events befindet, bald eine neue Bleibe findet. Vielleicht kann der VSK dann auch das Eis zwischen Branche und Freien Wählern brechen. Und vielleicht gewinnt dann auch die bayerische Gamespolitik wieder an Dynamik.

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Stephan Steininger
Stephan is Editor in Chief
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