Kommentar: Deutschland, Indieland

Das Jahr 2022 war herausragend für die deutschen Indies, einige Leuchtturm-Titel wurden international mit Ehrungen überhäuft. Das bezeugt endlich den verzögerten Erweckungsmoment der deutschen Förderung und Gameslandschaft. Ein Kommentar von Pascal Wagner.
2022 war ein wunderbares Jahr für die deutsche Indie-Szene. Sie hat, könnte man sagen, international einen Kickstart hingelegt — und das hängt nicht (nur) mit der gleichnamigen oder ähnlichen Crowdfunding-Möglichkeiten zusammen. 2022 ließ sich gut beobachten, wie die deutsche Gaming-Infrastruktur nahtlos ineinander griff und es Entwickler:innen so ermöglichte, einige Titel zu veröffentlichen, die global erfolgreich waren. Beispiele? “Chained Echoes”, das von Matthias Linda beinahe im Alleingang entwickelte JRPG, erschien nach siebenjähriger Entwicklungszeit im Dezember und räumte trotz des späten Releases national und international ab, von Überraschungs-Einsen auf diversen Toplisten bis hin zu Preisen wie dem Grand Jury Award beim indie cup. Linda erhielt dafür Anfang 2021 Förderung vom Land NRW und fand mit Deck13 einen deutschen Publisher. “Signalis”, der Retrohorror-Hit von Rose-Engine aus Hamburg, stach beim Tribeca Festival 2021 heraus und stürmte 2022 die Toplisten internationaler Outlets mit seinem innovativen deutsch-sowjetischen Sci-Fi-Setting und seinen philosophischen Körperthematiken. Rose-Engine konnte 2019 noch keine Förderung in Hamburg beantragen, erhielt jedoch ein Kreativtransfer-Stipendium vom Dachverband Tanz und der Bundesbeauftragen für Kultur und Medien, das letztlich zum erfolgreichen Publishing durch Humble Games führte. Das sächsische “Dome Keeper” räumte gleich den Best Indie Award auf der PAX East ab, gewann den indie cup in Deutschland und war bei PC Games sogar für das beste Spiel des Jahres nominiert. Es entstand in Dresden bei einem Game Jam und wurde von Raw Fury entdeckt, die eine Woche nach Verkaufsstart bereits eine Million Euro erreichten Umsatz meldeten. Einen hab‘ ich noch: “Dungeons of Dreadrock”, dreieinhalb Jahre vom MediaDesign-Professor Christoph Minnameier aus München in Solo-Entwicklung neben der Arbeit erstellt, gewann als bestes europäisches Spiel das Indie Games Festival von Google Play. Die jeweils sehr unterschiedlichen Entwicklungsgeschichten, Zugriffe auf Förderung und Publishererfahrungen zeigen, dass es keine rote Linie zwischen diesen Erfolgen gibt, auf die man den Durchbruch der deutschen Indie-Gemeinschaft und die im letzten Jahr erfahrene internationale Anerkennung schieben könnte. Ich möchte es dennoch versuchen. Meine These: 2022 sahen wir, wie die Zahnrädchen diverser Initiativen und Förder- und Vernetzungsmaßnahmen, die auf Landes- und Bundesebene, aber auch aus der Branche selbst heraus kommen, endlich perfekt ineinandergriffen. Das ist kein Phänomen, das auf Vorkommnisse des letzten Jahres zurückzuführen ist, weder auf die positiven wie die zurückgekehrte gamescom und das Rennen diverser Bundesländer um mehr Fördertöpfe, noch auf die negativen wie der Antragsstopp der Bundesförderung. Es ist ein verzögerter Prozess: Die Früchte eines seit 2020 im Licht der Bundesförderung immer stärker gewordenen Mittel-, Klein- und Kleinstsegmentes im Feld deutscher Videospielstudios. Dabei will ich die Lorbeeren nicht dem Bund zuschustern, denn viele Erfolge gehen auf zuvor oder parallel vergebene Landesförderung oder Synergieeffekte zurück, sondern sehe die Bundesförderung als Katalysator für die Wahrnehmung der deutschen Branche als ernstzunehmender internationaler Contender. So, wie ein typischer Entwicklungszyklus zwischen zwei und vier Arbeitsjahren rangiert, sehen wir also nun auch mit entsprechender Verzögerung, dass der aktuelle Weg im Allgemeinen gesprochen der richtige zu sein scheint — allen zu Recht monierten Wehwehchen zum Trotz.